Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Dorf Kolsätt, das hart an der
Grenze von Helsingland liegt. Hier ließ sich der Rabe in der Nähe einer kleinen, niedrigen Hütte nieder, die keine Fenster,
sondern nur eine Luke hatte. Aus dem Schornstein stieg ein Rauch auf, der mit Funken vermischt war, und aus dem Hause vernahm
man starke Hammerschläge. »Wenn ich die Schmiede sehe,« sagte Bataki, »so muß ich unwillkürlich an etwas denken, was du wahrscheinlich
nie gehört hast, nämlich daß es in alten Zeiten im Härjetal und namentlich in diesem Dorfe hier so gute Schmiede gegeben haben
soll, daß man ihresgleichen im ganzen Lande nicht finden konnte.« – »Vielleicht kannst du mir auch von ihnen eine Geschichte
erzählen,« meinte der Junge.
»Freilich, denn ich habe gehört, daß damals ein Schmied aus dem Härjetal zwei andere Meisterschmiede, einen aus Dalarna und
einen aus Värmland, zu einem Wettstreit im Nagelschmieden herausgefordert hat. Die Herausforderung wurde angenommen, und die
drei Schmiede trafen hier in Valfäst zusammen. Der Dalekarlier machte den Anfang. Er schmiedete ein Dutzend Nägel, die alle
ausgezeichnet waren und nicht besser gemacht werden konnten. Nach ihm kam der Värmländer. Auch er schmiedeteein Dutzend Nägel, die ganz ausgezeichnet waren, und dazu kam noch, daß er nur halb soviel Zeit dazu gebrauchte wie der Dalekarlier.
Als die Männer, die Schiedsrichter in dem Wettstreit sein sollten, das sahen, sagten sie zu dem Schmied aus dem Harjetal,
er könne den Versuch, es besser als der Dalekarlier oder schneller als der Värmländer zu machen, nur gleich aufgeben. ›Nein,
ich ergebe mich nicht. Es wird sich schon eine Art und Weise finden lassen, wie ich mich auszeichnen kann,‹ sagte der Mann
aus dem Harjetal. Er legte das Eisen auf den Ambos, ohne es zuvor in die Esse zu legen, hämmerte es warm und schmiedete einen
Nagel nach dem anderen, ohne weder Kohlen noch einen Blasebalg zu gebrauchen. Nie hatte man einen Schmied den Hammer mit größerer
Meisterschaft führen sehen, und der Schmied aus dem Härjetal wurde als der beste im ganzen Lande erklärt.«
Bataki schwieg, aber der Junge wurde noch nachdenklicher. »Was bezweckst du eigentlich mit der Erzählung?« fragte er. – »Ach,
die Geschichte fiel mir nur gerade ein, als ich die alte Schmiede sah,« antwortete der Rabe ganz gleichgültig.
Die beiden Reisenden stiegen nun wieder in die Luft empor, und der Rabe flog mit dem Knaben südwärts nach dem Kirchspiel Lillhärdal,
das auf der Grenze von Dalarna liegt. Dort ließ er sich auf einem bewaldeten Hügel oben auf einem Bergrücken nieder. »Ob du
wohl eigentlich weißt, auf was für einem Hügel du stehst?« fragte Bataki. Nein, der Junge mußte einräumen, daß er das nicht
wußte. – »Es ist ein Grabhügel,« sagte Bataki.»Er ist über einem Mann errichtet, der Harjulf hieß, und der sich als erster hier im Härjetal niederließ und das Land zu
bebauen begann.« – »Vielleicht kannst du auch von ihm eine Geschichte erzählen?« meinte der Junge.
»Ich habe nichts weiter von ihm gehört, als daß er wohl ein Norweger gewesen ist. Zuerst stand er im Dienst eines norwegischen
Königs, aber mit dem entzweite er sich, so daß er landesflüchtig wurde. Dann zog er zu dem schwedischen König, der in Upsala
wohnte und trat bei ihm in Dienst. Als aber eine Weile vergangen war, begehrte er die Schwester des Königs zum Gemahl, und
als der König ihm eine so vornehme Braut nicht geben wollte, entfloh er mit ihr. Er hatte es nun dahin gebracht, daß er nicht
in Norwegen und auch nicht in Schweden wohnen konnte, und ins Ausland konnte er nicht ziehen. ›Aber es muß wohl noch einen
dritten Ausweg geben,‹ dachte er und zog mit seinen Dienern und seinen Schätzen gen Norden durch Dalarna, bis er an die großen,
wilden Wälder kam, die sich nördlich von Dalarna ausbreiteten. Dort ließ er sich nieder, baute Häuser, machte den Wald urbar
und wurde so der erste, der sich in dieser Gegend des Landes niederließ.«
Als Niels Holgersen diese Geschichte hörte, wurde er noch nachdenklicher als zuvor. »Was für einen Zweck hast du nur damit,
mir dies alles zu erzählen?« sagte er noch einmal. Lange schwieg Bataki, drehte und wandte aber den Kopf und kniff die Augen
zusammen. »Da wir beide jetzt hier allein sind,« sagte er endlich, »so will ich die Gelegenheit benutzen und dich nach etwas
fragen. Hastdu jemals genauen Bescheid darüber erhalten, was der
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