Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Bootbesatzungen waren schon so weit mit dem Fischfang gediehen, daß sie ihre Boote bis an die Reeling voller Heringe
hatten. Die Fischer standen bis an die Knie in Heringen und glitzerten von Heringschuppen vom Südwester bis an den unteren
Rand ihres gelben Ölrockes.
Und dann waren da neuangekommene Fischergruppen, die umherfuhren und loteten und nach Heringen suchten, und andere, die mit
großer Mühe das Netz ausgelegt hatten, es aber leer wieder herauszogen. Wenn die Boote voll waren, fuhren einige von den Fischern
nach den großen Dampfern hinaus, die auf dem Fjord lagen, und verkauften ihren Fang, andere segelten nach Marstrand hinein
und löschten den Fang am Kai. Dort waren die Heringweiber schon in voller Arbeit an den langen Tischen; die Heringe wurden
in Tonnen und Kisten gepackt, und die ganze Straße war voll von Heringschuppen.
Ja, hier herrschte Leben und Bewegung. Die Menschen waren ganz aus dem Häuschen vor Freude über all dies Silber, das sie aus
den Wellen des Meeres schöpften, und die Wildgänse flogen viele Male rund herum um die Insel Marstrand, damit der Junge alles
recht genau sehen sollte.
Bald aber bat er sie, weiterzufliegen. Er sagte nicht, warum er dort weg wollte, aber es war vielleicht nicht so schwer zu
erraten. Da waren viele schöne und stolze Leuteunter den Fischern, Mehrere von ihnen waren stattliche Männer mit kühnen Gesichtern unter dem Südwester, und sie sahen so
verwegen und keck aus, wie jeder frische Junge wünscht, selbst auszusehen, wenn er einmal erwachsen ist. Es war wohl nicht
gerade erfreulich für jemand, der nie viel größer werden konnte wie ein Hering, dazusitzen und solche Prachtkerle zu betrachten.
LI. Ein großer Herrenhof
Der alte Herr und der junge Herr.
Vor einigen Jahren lebte in einem Kirchspiel in Westgötland eine prächtige, liebe kleine Volksschullehrerin. Sie unterrichtete
nicht nur vorzüglich, sondern sie verstand es auch, Ordnung zu halten, und die Kinder hatten sie so lieb, daß sie niemals
zur Schule kamen, ohne ihre Aufgaben gelernt zu haben. Auch die Eltern schätzten sie sehr. Es gab nur einen einzigen Menschen,
der nicht wußte, was sie wert war, und das war sie selbst. Sie glaubte, daß alle anderen klüger und tüchtiger seien als sie,
und sie grämte sich darüber, daß sie nicht so werden konnte wie sie.
Als die Lehrerin einige Jahre an der Schule angestellt gewesen war, machte ihr die Schulbehörde den Vorschlag, einen Kursus
in dem Nääser Seminar für Handfertigkeit durchzumachen, damit sie künftig die Kinder nicht nur lehren könne mit dem Kopf,
sondern auch mit den Händen zu arbeiten. Niemand kann sich vorstellen, wie überraschtsie war, als sie diese Aufforderung erhielt. Nääs lag nicht weit von ihrer Schule entfernt. Sie war gar manches Mal an dem
schönen, stattlichen Gebäude vorübergegangen, und sie hatte über den Handfertigkeitskursus, der auf dem alten Herrenhof abgehalten
wurde, viele Lobreden gehört. Dort kamen Lehrer und Lehrerinnen aus dem ganzen Lande zusammen, um ihre Hände gebrauchen zu
lernen, ja sogar aus dem Auslande kamen Leute dorthin. Sie wußte im voraus, wie entsetzlich verzagt sie sich unter so vielen
ausgezeichneten Menschen fühlen würde. Das stand ihr so schwer bevor, daß sie nicht wußte, wie sie es ertragen sollte.
Sie wagte jedoch nicht, der Schulbehörde eine abschlägige Antwort zu geben, sondern reichte ihr Gesuch ein. Sie wurde als
Schülerin angenommen, und an einem schonen Juniabend, an dem Tage bevor der Sommerkursus beginnen sollte, packte sie ihre
Habseligleiten in eine kleine Reisetasche und wanderte nach Nääs. Und wie oft sie auch unterwegs stehen blieb und sich weit
weg wünschte, sie gelangte doch schließlich an ihr Ziel.
Auf Nääs war Leben und Bewegung. Allen Teilnehmern des Kursus, die, jeder aus seiner Richtung, eintrafen, mußten in den Häusern
und Villen, die zu dem großen Besitz gehörten, Zimmer angewiesen werden. Allen war ein wenig wunderlich zumute in den ungewohnten
Umgebungen, aber die kleine Lehrerin glaubte wie gewöhnlich, daß nur sie allein sich töricht und ungeschickt benehme. Sie
hatte sich in eine solche Angst hineingeredet, daß sie weder hören noch sehen konnte. Es war auch sehr schwer, was sie alles
durchmachen mußte. Man wies ihrein Zimmer in einer schönen Villa an, in dem sie mit ein paar jungen Mädchen wohnen sollte, die sie gar nicht kannte, und
sie mußte mit siebzig
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