Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
sagte, daß mich alle gern haben?
Hier kommt nun dieser Sonderling, der sich nicht hat überwinden können, seine Arbeit irgend jemand zu zeigen, und bittet mich,
sie zu beurteilen.«
Er versprach, die Handschrift so schnell wie möglich zu lesen, und der andere legte das Buch auf den Schreibtisch neben ihn.
»Du mußt gut acht darauf geben,« sagte er, »ich habe fünf Jahre daran gearbeitet, und wenn es abhanden käme, kann ich es nicht
noch einmal machen.« – »Solange es bei mir ist, wird ihm nichts zustoßen,« sagte der Student. Und dann ging der andere.
Der Student nahm das dicke Buch zur Hand. »Ich möchte doch wissen, was der da zusammengeschmiert hat,« sagte er. »Ach so,
die Geschichte der Stadt Upsala! Das klingt ja gar nicht übel!«
Nun liebte dieser Student Upsala über alle anderen Städte, und er war neugierig zu lesen, was der alte Student über die Stadt
geschrieben hatte. »Wenn ich mir die Sache recht überlege, kann ich seine Geschichte ebensogut jetzt gleich lesen,« murmelte
er. »Es hat ja doch keinen Zweck, hier noch im letzten Augenblick zu sitzen und zubüffeln. Deswegen geht es auch nicht besser, wenn man zum Professor kommt.«
Der Student las und erhob die Augen nicht von den Blättern bis er zum letzten gekommen war. Als er geendet hatte, war er sehr
vergnügt. »Das muß ich sagen, dies ist ja eine ganz kolossale Gelehrsamkeit!« sagte er. »Wenn dies Buch erscheint, ist sein
Glück gemacht. »Wie ich mich darauf freue, ihm zu erzählen, wie gut sein Buch ist!«
Er sammelte alle die losen Blätter zusammen, aus denen die Handschrift bestand, und legte sie auf dem Tisch zurecht. Wahrend
er damit beschäftigt war, hörte er die Uhr schlagen.
»Nun wird es wohl Zeit, daß ich zum Professor gehe,« sagte er und beeilte sich, seinen schwarzen Anzug zu holen, der in einer
Kammer oben auf dem Boden hing. Aber wie es so oft zu gehen pflegt, wenn man es eilig hat, waren Schloß und Schlüssel neckisch,
und es währte eine geraume Zeit, bis er zurückkam.
Als er in die Tür kam, stieß er einen Schrei aus. In der Eile hatte er die Tür offen stehen lassen, als er ging, und das Fenster,
an dem der Schreibtisch stand, war auch offen. Es war Zug entstanden, und nun sah der Student die losen Blätter der Handschrift
zum Fenster hinauswirbeln. Mit einem Satz war er am Schreibtisch und legte die Hand auf die Papiere, aber da waren nicht mehr
viele zu retten. Nur zehn oder zwölf Blatter lagen noch da. All das andere tanzte mit dem Wind über Höfe und Dächer hin.
Der Student lehnte sich zum Fenster hinaus und sahden Papieren nach. Auf dem Dach vor dem Mansardenfenster saß ein schwarzer Vogel und sah ihn mit höhnischer Überlegenheit
an. »Ist das nicht ein Rabe?« dachte der Student. »Man sagt ja, daß Raben Unglück verkünden.« Er sah, daß noch einige von
den Papieren ringsumher auf den Dächern lagen, und er hätte sicher einen Teil des Verlorenen retten können, wenn er nicht
an sein Tentamen hätte denken müssen. Aber er fand, daß er vor allen Dingen an seine eigenen Angelegenheiten denken müsse.
»Es handelt sich ja um meine ganze Zukunft,« dachte er.
Er kleidete sich schnell an und ging zu dem Professor. Während der ganzen Zeit beschäftigten sich seine Gedanken mit der verlorenen
Handschrift. »Das ist eine schlimme Geschichte,« dachte er. »Es war geradezu ein Unglück, daß ich es so eilig hatte.«
Der Professor begann mit dem Überhören, aber der Student konnte seine Gedanken nicht von der Handschrift losreißen. »Was sagte
doch der arme Bursche?« dachte er. »Sagte er nicht, daß er fünf Jahre an dem Buch gearbeitet habe und nicht die Kraft besitze,
es noch einmal zu schreiben? Ich weiß nicht, woher ich den Mut nehmen soll, um ihm zu erzählen, daß sie weg ist.«
Er war so von dem Geschehenen in Anspruch genommen und so unglücklich darüber, daß er seine Gedanken nicht zu sammeln vermochte.
Alle seine Kenntnisse waren wie weggeblasen. Er hörte nicht, wonach ihn der Professor fragte und ahnte nicht, was er selbst
antwortete. Der Professor war ganz entsetzt über eine solche Unwissenheit und konnte nicht anders als ihn durchfallen lassen.
Als der Student wieder auf die Straße hinauskam, war er sehr unglücklich. »Jetzt habe ich meine Anstellung verscherzt,« dachte
er, »und daran ist der alte Bursche schuld. Warum mußte er auch gerade heute mit seiner Handschrift kommen! Aber so geht es,
wenn man
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