Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
»Das sagst
du nur, weil du gehört hast, daß ich krank bin, nun willst du mich trösten.« – »Keineswegs. Es ist eine ausgezeichnete Arbeit,
das versichere ich dich.« – »Hast du sie wirklich nicht vernichtet, wie ich dich bat?« – »Ich bin doch nicht verrückt!« –
»So hole sie! Zeige mir, daß du sie nicht vernichtet hast, dann will ich dir glauben!« sagte der Kranke und sank in die Kissen
zurück. Er war so schwach und matt, daß der Student glaubte, der Anfall werde sich wiederholen.
Es war ein fürchterlicher Augenblick für den Studenten. Er nahm die Hände des Kranken zwischen die seinen, erzählte ihm, daß
seine Handschrift zum Fenster hinausgeweht sei und sagte, wie unglücklich er den ganzen Tag gewesen war, weil er ihm einen
so großen Schaden zugefügt hatte.
Als er schwieg, nahm der Kranke seine Hand und streichelte sie. »Du bist gut gegen mich, wirklich gut. Gib dir aber keine
Mühe, Geschichten zu erfinden, um mich zu schonen. Ich verstehe ja, daß du getan hast, wie ich dir sagte: du hast die Handschrift
verbrannt, weil sie nichts taugte, und du willst es nun nicht eingestehen. Du glaubst, ich könne das nicht ertragen!«
Der Student versicherte ihm hoch und heilig, daß er die Wahrheit rede, der andere aber beharrte bei seiner Ansicht und wollte
ihm nicht glauben.
»Könntest du mir die Handschrift zurückgeben, so würde ich dir glauben,« sagte er.
Er wurde immer elender, und der Student sah sichschließlich gezwungen, fortzugehen, um seinen Zustand nicht noch zu verschlimmern.
Als er zu Hause anlangte, befiel ihn eine solche Schwermut und Müdigkeit, daß er sich kaum aufrecht halten konnte. Er machte
Tee und ging dann zu Bett. Während er die Decke über sich zog, dachte er daran, wie glücklich er am Morgen gewesen war. Jetzt
war für ihn selber viel in die Brüche gegangen, aber das konnte er ja ertragen. »Das Schlimmste ist, daß ich nie im Leben
werde vergessen können, daß ich einen Menschen ins Unglück gebracht habe,« sagte er.
Er glaubte, daß er in dieser Nacht kein Auge werde schließen können. Aber wunderbarerweise schlief er ein, sobald er den Kopf
auf das Kissen gelegt hatte. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, die Lampe auszulöschen, die auf dem Nachttisch neben seinem
Bett brannte.
Das Frühlingsfest
Nun aber wollte es der Zufall, daß, als der Student sich schlafen legte, ein kleiner Bursche mit gelber Lederhose, grüner
Weste und weißer Zipfelmütze auf dem Dach vor seinem Mansardenfenster stand und dachte, wenn er an Stelle dessen wäre, der
jetzt da drinnen in seinem Bett lag, so würde er sehr glücklich sein.
Daß Niels Holgersen, der noch vor ein paar Stunden in einem Büschel gelber Sumpfdotterblumen am Ekelsundsvik gelegen und gefaulenzt
hatte, sich jetzt in Upsala befand, daran war der Rabe Bataki schuld; er hatte Niels zu dem Abenteuer verlockt.
Der Junge selber hatte es sich am allerwenigsten träumen lassen. Er lag in dem Blumenbüschel und starrte zum Himmel empor,
als er Bataki oben zwischen den davonziehenden Wolken fliegen sah. Der Junge wollte sich am liebsten vor ihm verstecken, aber
Bataki hatte ihn schon gesehen, und einen Augenblick später stand er mitten zwischen den Dotterblumen und sprach so, als seien
er und der Junge die besten Freunde von der Welt.
So finster und feierlich Bataki auch aussah, Niels konnte doch merken, daß er einen Schelm im Auge hatte. Er hatte ein Gefühl,
als wenn der Rabe gekommen sei, um sich lustig über ihn zu machen, und er hatte beschlossen, sich an nichts zu kehren, was
er auch zu ihm sagen werde.
Der Rabe begann nun damit, zu sagen, er fände, er schulde Däumling einen Ersatz dafür, daß er ihm nicht erzählen könne, wo
das Bruderteil war, und deswegen sei er nun gekommen, um ihm ein anderes Geheimnis anzuvertrauen. Bataki wisse nämlich, wie
jemand, der so verwandelt worden war, wie er, wieder zum Menschen werden könne.
Der Rabe hatte ganz fest geglaubt, daß der Junge sofort anbeißen würde, wenn er ihm einen solchen Köder auswarf. Statt dessen
aber antwortete Niels sehr abweisend, daß er wisse, er könne wieder Mensch werden, wenn er den weißen Gänserich erst glücklich
nach Lappland hinauf und dann nach Schoonen zurückbringen könne.
»Du weißt, es ist keine Kleinigkeit, einen Gänserich glücklich durch das Land zu bringen,« sagte Bataki. »Es könnte nicht
schaden, wenn du noch einen anderen Ausweg wüßtest, für den
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