Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Besitz halte.
Dann hatte ich nichts weiter von den Gaben übrig als die Grassoden, die ich von Schoonen erhalten hatte, und die breitete
ich mitten im Lande aus, und sie wurden zu der fruchtbaren Vaksalaebene. Und den trägen Bach, den ich von Westgotland erhalten
hatte, den leitete ich durch die Ebene, damit diese eine gute Verbindung mit den Mälarfjorden haben sollte.‹
Jetzt begriffen die anderen Landschaften, wie das Ganze zugegangen war, und obwohl sie ein wenig ärgerlich waren, konnten
sie doch nicht umhin, zuzugeben, daß es seine Sache gut gemacht hatte. ›Du hast mit geringen Mitteln viel ausgerichtet,‹ sagten
alle Landschaften. ›Du bist in der Tat die klügste und tüchtigste von uns.‹
›Habt Dank für die Worte,‹ entgegnete Uppland. ›Wenn ihr das sagt, so bin ich ja die Landschaft, die den König und die Hauptstadt
bei sich aufnehmen soll.‹
Die anderen Landschaften wurden ein wenig ärgerlich, aber ein Wort ist ein Wort, und dabei blieb es.
Und Uppland bekam den König und die Hauptstadt,und es wurde die erste von allen Landschaften, und das war nicht mehr als billig, denn Klugheit und Tüchtigkeit ist das,
was noch heutzutage Bettler zu Fürsten macht.«
XXXIV. In Upsala
Der Student.
Donnerstag, 5. Mai.
Zu der Zeit, als Niels Holgersen mit den Wildgänsen durch das Land reiste, war in Upsala ein prächtiger junger Student. Er
wohnte in einer kleinen Dachkammer und war so sparsam, daß die Leute sagten, er lebe von fast gar nichts. Seine Studien betrieb
er mit Lust und Liebe, so daß er schneller damit fertig wurde, als irgendeiner von den anderen. Aber deswegen war er durchaus
kein Bücherwurm oder Duckmäuser; er konnte sehr wohl mit den Kameraden lustig sein. Er war gerade so, wie ein Student sein
soll. Er hatte keine Fehler, wenn man es nicht etwa einen Fehler nennen will, daß er infolge all seines Glücks ein wenig verwöhnt
war. Aber das kann dem Besten passieren. Das Glück ist nicht so leicht zu ertragen, namentlich nicht in der Jugend.
In einer Morgenstunde, gerade als der Student erwacht war, lag er da und dachte darüber nach, wie gut er es doch habe. »Alle
Menschen haben mich gern, Kameraden wie auch Lehrer,« sagte er zu sich selbst. »Und so vorzüglich, wie es mir mit meinem Studium
gegangen ist! Heute soll ich zum letztenmal zum Tentamen, und dann bin ich bald fertig. Und wenn ich nur rechtzeitigfertig werde, so bekomme ich eine Stellung mit gutem Gehalt. Es ist merkwürdig, was für ein Glück ich gehabt habe. Aber ich
tue ja auch meine Pflicht, da ist es ja ganz natürlich, daß es mir gut geht.«
Die Studenten in Upsala sitzen nicht zusammen in Schulstuben und lernen wie Schulkinder, sie sitzen jeder für sich in seinem
Zimmer und studieren. Wenn sie mit einem Fach fertig sind, gehen sie zu ihren Professoren und werden in dem ganzen Fach auf
einmal überhört. So eine Überhörung heißt ein Tentamen, und das, zu dem der Student an diesem Tage gehen sollte, war gerade
das Letzte und Allerschwerste.
Sobald er sich angekleidet und Kaffee getrunken hatte, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um einen letzten Blick in seine
Bücher zu werfen. »Ich glaube eigentlich, es ist ganz überflüssig, so gut wie ich vorbereitet bin,« dachte der Student, »aber
es wird wohl am besten sein, wenn ich so lange wie möglich büffle, dann brauche ich mir wenigstens keine Vorwürfe zu machen.«
Er hatte kaum einen Augenblick gelesen, als es an seine Tür pochte, und ein Student mit einem dicken Buch unterm Arm bei ihm
eintrat. Es war dies ein Student von ganz anderer Art wie der, der dort am Schreibtisch saß. Er war verschämt und schüchtern
und sah abgearbeitet und ärmlich aus. Es war einer von denen, die sich auf Bücher verstehen, aber auch auf nichts weiter.
Es hieß, daß er sehr gelehrt sei, aber er war so scheu und ängstlich, daß er sich nie zu einem Tentamen hatte entschließen
können. Alle glaubten, er werde »ewiger Student« werden, ein Jahr nach dem anderen in Upsala bleibenund studieren und studieren, es aber nie zu etwas bringen.
Er kam nun, um den Kameraden zu bitten, ein Buch zu lesen, das er geschrieben hatte. Es war nicht gedruckt, sondern nur mit
der Hand geschrieben. »Du würdest mir einen großen Gefallen tun,« sagte er, »wenn du dir dies hier ein wenig ansehen und mir
sagen wolltest, ob es taugt.«
Der Student, dem das Glück stets lächelte, dachte bei sich: »Ist es nicht, wie ich vorhin
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