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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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trug das kalte Wasser als feines, fliegendes Spray in die Luft.
    Es war ein wütender Wind, ein gefährlicher, irrer Wind. Die Standbetreiber an Deck der Belfast verfluchten ihn und hielten ihre Besitztümer fest, damit sie nicht weggeweht wurden.
    Und dann, als es schien, der Wind würde so stark, daß er die ganze Welt fortwehte und die Sterne davonbliese und die Menschen durch die Luft wirbelte wie vertrocknetes Herbstlaub –
    In dem Moment –
    – war er vorbei, und das Laub und die Zeitungen und die Plastiktüten segelten wieder auf die Erde und die Straße und aufs Wasser zurück.
    Hoch oben auf dem Überrest der London Wall war die Stille, die auf den Wind folgte, ebenso laut, wie der Wind es gewesen war.
    Sie wurde durch ein Husten durchbrochen; ein grauenhaftes, nasses Husten.
    Dann hörte man, wie sich jemand mühsam umdrehte, und dann, wie sich jemand furchtbar und widerlich übergab.
    Der Marquis de Carabas erbrach Sielwasser über den Rand der London Wall, das die grauen Steine mit brauner Fäulnis befleckte. Er brauchte lange dafür, das Wasser aus seinem Körper loszuwerden.
    Und dann sagte er, mit heiserer Stimme, die kaum mehr war als ein schmirgelndes Flüstern: »Ich glaube, man hat mir die Kehle durchgeschnitten. Haben Sie etwas, womit man sie verbinden kann?«
    Old Bailey suchte in seinen Taschen herum und zog eine schmuddelige Stoffbahn hervor. Die reichte er dem Marquis, der sie sich ein paarmal um den Hals wickelte und dann fest verknotete. Old Bailey fühlte sich unpassenderweise an die hochgeschnürten Beau-Brummel-Kragen der Regency-Dandys erinnert.
    »Was zu trinken?« krächzte der Marquis.
    Old Bailey zog seinen Flachmann heraus, schraubte den Deckel ab und reichte ihn dem Marquis, der einen Mundvoll herunterstürzte, dann vor Schmerz zusammenzuckte und schwach hustete.
    Die schwarze Ratte, die die gesamte Szene mit Interesse beobachtet hatte, begann nun den Mauerrest hinunterzuklettern. Sie würde es den Goldenen mitteilen: Alle Gefallen waren nun vergolten, alle Schulden bezahlt.
    Der Marquis gab Old Bailey seinen Flachmann zurück. Dieser steckte ihn weg. »Wie fühlen Sie sich?« fragte er.
    »Mir ging’s schon mal besser.«
    Der Marquis setzte sich zitternd auf. Seine Nase lief, und seine Augen flackerten hin und her. Er starrte hinaus in die Welt, als hätte er sie nie zuvor gesehen.
    »Wieso mußten Sie sich bloß umbringen lassen, das wüßt’ ich gern«, fragte Old Bailey.
    »Informationen«, flüsterte der Marquis. »Die Menschen erzählen einem sehr viel mehr, wenn sie wissen, daß man gleich tot sein wird. Und wenn man dann tot ist, reden sie immer noch weiter.«
    »Dann haben Sie herausgefunden, was Sie wissen wollten?«
    Der Marquis betastete die Wunden an seinen Armen und Beinen. »Aber ja. Größtenteils. Jetzt habe ich mehr als nur eine Ahnung, worum es bei dieser ganzen Sache eigentlich geht.« Dann schloß er wieder die Augen, schlang die Arme um sich und schaukelte langsam vor und zurück.
    »Wie ist es denn eigentlich?« fragte Old Bailey. »Tot zu sein?«
    Der Marquis seufzte. Und dann grinste er schwach, und sein altes Ich schien ein wenig durch, als er antwortete: »Leben Sie lange genug, Old Bailey, dann können Sie es selbst herausfinden.«
    Old Bailey wirkte enttäuscht. »Mistkerl. Nach allem, was ich getan habe, um Sie von dem schrecklichen Ort zurückzuholen, von dem es kein Zurück gibt. Na ja, normalerweise kein Zurück gibt.«
    Der Marquis de Carabas blickte zu ihm auf. Seine Augen waren weiß im Mondlicht. Und er flüsterte: »Wie es ist, tot zu sein? Es ist sehr kalt, mein Freund. Sehr dunkel und sehr kalt.«
    Door hielt die Kette hoch. Daran baumelte der Schlüssel rotorange im Licht von Hammersmiths Kohlenbecken.
    »Gute Arbeit, Hammersmith.«
    »Danke, Lady.«
    Sie hängte sich die Kette um den Hals und verbarg den Schlüssel in ihren Kleiderschichten. »Was möchtest du dafür haben?«
    Der Schmied schaute betreten drein. »Es liegt mir fern, Ihre Großherzigkeit auszunutzen …«, murmelte er.
    Door zog ihr ›Na-komm-schon‹-Gesicht. Er bückte sich und holte ein schwarzes Kästchen unter einem Haufen Werkzeuge hervor. Es war aus dunklem Holz mit Glas- und Kupferintarsien, und es war so groß wie ein gutes Wörterbuch. Er drehte es wieder und wieder in seinen Händen. »Das ist ein Puzzle«, erklärte er. »Ich habe es vor ein paar Jahren für eine Schmiedearbeit bekommen. So oft ich es auch versuche, ich bekomme es nicht auf.«
    »Gib

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