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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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nicht.«
    Richard schnaubte verächtlich. »Euch gefällt bloß nicht, daß ich auch mal die Zügel in die Hand nehme, anstatt euch blind hinterherzulaufen und immer nur zu tun, was man mir sagt.«
    »Darum geht es überhaupt nicht.«
    Richard wandte sich an Hunter. »Nun, Hunter. Kennen sie den Weg zu Islington?«
    Hunter schüttelte den Kopf.
    Door seufzte. »Wir müssen los. Down Street, sagen Sie?«
    Lamia lächelte mit pflaumenfarbenen Lippen. »Ja, Lady.«
    Als der Marquis auf dem Markt ankam, waren sie fort.

Kapitel Fünfzehn
     
    Sie verließen das Schiff und gingen ans Ufer, wo sie ein paar Stufen hinabstiegen, durch eine lange Unterführung liefen und wieder nach oben gingen.
    Lamia marschierte zielstrebig voran. Sie führte sie in eine kleine, kopfsteingepflasterte Gasse. Gaslampen brannten und flackerten an den Wänden.
    »Die dritte Tür«, sagte sie.
    Sie blieben vor der Tür stehen. Eine Messingplatte war darauf angebracht, auf der stand:
    KÖNIGLICHE GESELLSCHAFT
    ZUR VERMEIDUNG VON GRAUSAMKEIT GEGENÜBER HÄUSERN.
    Und darunter in kleineren Lettern:
    Down Street. Bitte klopfen.
    »Man gelangt durch das Haus zur Straße?« fragte Richard.
    »Nein«, antwortete Lamia. »Die Straße ist im Haus.«
    Richard klopfte an die Tür. Nichts geschah. Sie warteten, und sie zitterten. Er klopfte noch einmal. Schließlich klingelte er. Die Tür wurde von einem verschlafen aussehenden Lakaien mit einer gepuderten Perücke und einer scharlachroten Livree geöffnet. Er schaute die bunte Schar auf seiner Türschwelle mit einem Gesichtsausdruck an, der besagte, daß sich dafür das Aufstehen nicht gelohnt hatte.
    »Ja?« sagte der Lakai. Richard hatte sogar die Worte ›Fahr zur Hölle‹ schon in einem wärmeren und freundlicheren Tonfall gehört.
    »Down Street«, sagte Lamia gebieterisch.
    »Hier entlang«, seufzte der Lakai. »Bitte Füße abtreten. «
    Sie gingen durch eine eindrucksvolle Eingangshalle. Dann warteten sie, bis der Lakai alle Kerzen eines Kandelabers entzündet hatte, wie man ihn eigentlich nur auf den Titelseiten von Taschenbüchern antrifft, wo er üblicherweise von einer jungen Dame im langen Nachthemd umklammert wird, die aus einem Herrenhaus flüchtet, in dem immer nur ein Licht brennt, und zwar im Dachfenster.
    Dann stiegen sie eine eindrucksvolle, mit einem dicken Teppich ausgelegte Treppe hinab. Sie stiegen eine weniger eindrucksvolle, mit einem weniger dicken Teppich ausgelegte Treppe hinab.
    Sie stiegen eine völlig unbeeindruckende, mit verschlissenem Sackleinen ausgelegte Treppe hinab.
    Sie stiegen eine schmutzigbraune Holztreppe ohne jeden Teppich hinab.
    Am Fuße dieser Treppe befand sich ein antiker Lastenaufzug mit einem Schild daran. Auf dem Schild stand:
    AUSSER BETRIEB.
    Der Lakai ignorierte das Schild und zog die äußere Drahttür mit einem metallischen Rumpeln auf. Lamia dankte ihm höflich und betrat den Aufzug. Die anderen folgten.
    Der Lakai wandte ihnen den Rücken zu. Richard sah durch den Maschendraht zu, wie er, den Kandelaber in den Händen, wieder die Holztreppe hinaufging.
    An der Wand des Aufzugs befand sich eine kurze Reihe von Knöpfen. Lamia drückte den untersten. Mit einem Knall schloß sich die metallene Gittertür automatisch. Ein Motor sprang an, und der Aufzug begann sich langsam und quietschend abwärtszubewegen.
    Die vier standen dicht beieinander. Richard stellte fest, daß er jede der Frauen, die sich mit ihm im Aufzug befand, riechen konnte. Door roch vor allem nach Curry; Hunter roch, nicht unangenehm, nach Schweiß, auf eine Weise, die ihn an Raubkatzen in Zookäfigen erinnerte; während Lamia berauschend nach Geißblatt und Maiglöckchen und Moschus duftete.
    Der Aufzug sank immer weiter abwärts. Richard merkte, daß er schwitzte, einen klammen, kalten Schweiß, und seine Fingernägel tief in die Handflächen grub. So beiläufig er eben konnte, sagte er: »Dies wäre wohl ein sehr schlechter Zeitpunkt, um festzustellen, daß man unter Platzangst leidet, was?«
    »Ja«, sagte Door.
    »Dann tu ich’s auch nicht«, sagte Richard. Und sie fuhren abwärts.
    Es ruckte und klackte und ratschte, und der Aufzug hielt an. Hunter zog die Tür auf, zögerte einen Moment und trat dann auf einen schmalen Sims hinaus.
    Richard schaute aus der offenen Aufzugtür. Sie hingen in der Luft, auf dem höchsten Punkt von etwas, das Richard an ein Bild des Turms von Babel erinnerte, das er mal gesehen hatte, oder vielmehr daran, wie der Turm von Babel aussehen würde,

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