Niemalsland
Wolf, schoß es Richard durch den Kopf. Dann fragte er sich, wieso er das gedacht hatte.
Der vordere Mann, der Fuchs, war kleiner als Richard. Er hatte glattes, fettiges Haar und einen bleichen Teint; und als Richard die Tür öffnete, lächelte er breit und nur einen winzigen Moment zu spät. »Einen guten Morgen entbiete ich Ihnen, werter Herr«, sagte er, »an diesem wunderschönen Tag.«
»Ah. Hallo«, sagte Richard.
»Wir führen eine persönliche Befragung gewissermaßen delikater Natur durch, von Tür zu Tür. Dürfen wir eintreten?«
»Also, im Moment paßt es mir nicht besonders«, sagte Richard. Dann fragte er: »Sind Sie von der Polizei?«
Der zweite Besucher, ein großer Mann, der Wolf, der ein Stückchen hinter seinem Freund stand und einen Stapel Fotokopien an seine Brust hielt, hatte bisher nichts gesagt, sondern nur gewartet, riesengroß und teilnahmslos. Jetzt lachte er einmal, leise und trocken. Dieses Lachen hatte etwas Ungesundes.
»Solches Glück«, sagte der kleinere Mann, »ward uns bedauerlicherweise nicht beschieden. Eine Laufbahn als Gesetzeshüter, so verlockend sie auch unzweifelhaft ist, stand nicht in den Karten, die Madame Fortuna meinem Bruder und mir zugeteilt hat. Nein, wir sind nur einfache Privatbürger. Erlauben Sie mir, uns vorzustellen. Ich bin Mister Croup, und dieser Herr ist mein Bruder, Mister Vandemar.« Sie sahen nicht wie Brüder aus. Sie sahen wie gar nichts aus, was Richard schon mal gesehen hatte.
»Ihr Bruder?« fragte Richard. »Müßten Sie dann nicht den gleichen Namen haben?«
»Ich bin beeindruckt. Was für ein kluger Kopf, Mister Vandemar. Ein wahrer Pfiffikus. Es gibt Menschen, die sind so scharfsinnig«, und er rückte näher an Richard heran und stellte sich direkt vor ihm auf die Zehenspitzen, »daß sie Gefahr laufen, sich zu schneiden.«
Richard trat einen Schritt zurück.
»Können wir hereinkommen?« fragte Mr. Croup.
»Was wollen Sie?«
Mr. Croup seufzte auf eine Weise, die er offenbar für äußerst wehmütig hielt. »Wir suchen unsere Schwester«, erklärte er. »Ein ungezogenes Kind, widerspenstig und dickköpfig, das unserer armen, lieben, verwitweten Mutter fast das Herz gebrochen hat.«
»Weggelaufen«, erläuterte Mr. Vandemar milde. Er drückte Richard ein fotokopiertes Papier in die Hand. »Sie ist ein bißchen … komisch«, fügte er hinzu, und er ließ einen Finger neben seiner Schläfe kreisen, um anzudeuten, daß das Mädchen ein Fall für die Klapsmühle sei.
Richard schaute sich den Zettel an.
Da stand:
HABEN SIE DESES MÄDCHEN GESEHEN?
Darunter war auf einem fotokopiegrauen Foto ein Mädchen abgebildet, das in Richards Augen wie eine ordentlichere, sauberere, langhaarige Ausgabe der jungen Dame aussah, die er in seinem Badezimmer beherbergte.
Darunter stand:
Hört auf den Namen Doreen. Beißt und tritt. Ist weggelaufen. Informieren Sie uns, wenn Sie sie gesehen haben. Wir wollen sie wiederhaben. Belohnung.
Und darunter eine Telefonnummer.
Richard schaute wieder das Foto an. Das war eindeutig das Mädchen in seinem Badezimmer.
»Nein«, sagte er. »Ich fürchte, ich habe sie nicht gesehen. Tut mir leid.«
Mr. Vandemar hörte jedoch gar nicht zu. Er hatte den Kopf gehoben und schnüffelte, als röche er etwas Seltsames oder Unangenehmes. Richard wollte ihm das Blatt Papier zurückgeben, doch der Mann schob sich einfach an ihm vorbei und betrat die Wohnung, ein Wolf auf der Pirsch.
Richard lief ihm nach.
»Was fällt Ihnen ein? Lassen Sie das! Raus hier! Hören Sie, Sie können da nicht reingehen – « Denn Mr. Vandemar bewegte sich direkt auf das Badezimmer zu.
Richard hoffte, das Mädchen – Doreen? – war so geistesgegenwärtig gewesen, die Badezimmertür abzuschließen. Doch nein; die Tür ging auf, als Mr. Vandemar dagegenstieß. Er trat ein, und Richard, der sich wie ein harmloser kleiner Hund fühlte, der dem Briefträger kläffend an den Fersen hing, folgte ihm.
Es war kein großes Badezimmer. Es befanden sich eine Badewanne, eine Toilette, ein Waschbecken, ein paar Flaschen Shampoo, ein Stück Seife und ein Handtuch darin. Als Richard es vor ein paar Minuten verlassen hatte, hatten sich außerdem ein ziemlich schmutziges, blutiges Mädchen, ein sehr blutiges Waschbecken und ein offener Erste-Hilfe-Kasten darin befunden. Jetzt war es strahlend sauber.
Es gab nichts, wo das Mädchen sich hätte verstecken können.
Mr. Vandemar verließ das Badezimmer und stieß die Schlafzimmertür auf, ging hinein,
Weitere Kostenlose Bücher