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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Richard einen Fuß vor den anderen, und er ging einfach immer weiter, mit eingeschlafenen Armen und Rückenschmerzen, und ignorierte die Blicke der Passanten. Und dann war er an seiner Haustür, und er schleppte sich die Treppe hinauf, und dann stand er vor seiner Wohnungstür, und ihm fiel ein, daß er den Schlüssel drinnen auf dem Flurtischchen vergessen hatte …
    Das Mädchen streckte eine schmutzige Hand nach der Tür aus, und sie ging auf.
    Hätte nie gedacht, daß ich mal froh sein würde, daß die Tür nicht richtig zu war, dachte Richard, und er trug das Mädchen hinein, schloß die Tür hinter sich mit dem Fuß und legte es auf sein Bett.
    Sein Hemd war blutig rot.
    Sie schien halb bewußtlos. Ihre Lider flatterten.
    Er schälte sie aus ihrer Lederjacke. Ihr linker Oberarm und die Schulter wiesen eine lange Schnittwunde auf. Richard schnappte nach Luft.
    »Hör mal, ich rufe jetzt einen Arzt«, sagte er leise. »Hörst du mich?«
    Ihre Augen öffneten sich weit und angstvoll. »Bitte nicht. Das wird schon wieder. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich brauche nur Schlaf. Keinen Arzt.«
    »Aber dein Arm – deine Schulter – «
    »Morgen geht’s mir wieder gut. Ja?« Es war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Ähm, na dann, okay«, und da seine Vernunft langsam wieder die Oberhand bekam, fragte er: »Sag mal, kann ich dich was fragen – ?«
    Aber sie war eingeschlafen.
    Er schlich sich auf Zehenspitzen hinaus und schloß die Tür hinter sich. Dann setzte er sich aufs Sofa, vor den Fernseher, und fragte sich, was er getan hatte.

Kapitel Zwei
     
    Er befand sich irgendwo tief unter der Erde: in einem Abwasserkanal. Hin und wieder flackerte ein Licht auf, das die Dunkelheit eher unterstrich, als sie zu vertreiben.
    Er war nicht allein. Andere Menschen gingen neben ihm her.
    Jetzt lief er im Innern des Abwasserkanals längs, Schlamm und Schmutz spritzten. Wassertröpfchen fielen langsam und kristallklar in der Dunkelheit nieder.
    Er bog um eine Ecke, und da wartete es auf ihn.
    Es war riesengroß. Es füllte das Siel völlig aus: Den massigen Kopf hielt es gesenkt, Körper und Atem dampften in der kühlen Luft. Eine Art Keiler, dachte er zuerst, doch dann erkannte er, daß das Unsinn war: Kein Keiler war so riesengroß. Es hatte die Größe eines Bullen, eines Tigers, eines Autos.
    Es starrte ihn an, und es hielt hundert Jahre lang inne, während er seinen Speer hob.
    Und dann griff es an.
    Er warf den Speer, doch es war bereits zu spät, und er spürte, wie das Ungeheuer ihm mit rasiermesserscharfen Hauern die Seite aufschlitzte, spürte, wie sein Leben entwich und im Schlamm versank: Und er stellte fest, daß er mit dem Gesicht voran ins Wasser gefallen war, das sich von dicken Strudeln erstickenden Blutes rotfärbte …
    Und er versuchte zu schreien, er versuchte aufzuwachen, doch er atmete nur Schlamm und Blut und Wasser, er verspürte nur Schmerzen …
    »Schlecht geträumt?« fragte das Mädchen.
    Richard setzte sich nach Luft schnappend auf der Couch auf. Die Vorhänge waren noch zugezogen, aber er wußte, daß es Morgen war. Er tastete auf der Couch nach der Fernbedienung, die sich irgendwie in sein Kreuz verkeilt hatte, und stellte den Fernseher aus.
    »Ja«, sagte er. »Irgendwie schon.«
    Er wischte sich die Schlafkrusten aus den Augen und schaute an sich herab. Wenigstens hatte er seine Schuhe und seine Jacke ausgezogen, bevor er eingeschlafen war. Sein Hemd war über und über voll von getrocknetem Blut und Schmutz.
    Das obdachlose Mädchen sagte nichts. Es sah furchtbar aus: blaß, unter dem Dreck und dem braun getrockneten Blut, und klein. Es trug alle möglichen Kleidungsstücke übereinander: Sachen, die nicht zusammenpaßten, schmutzigen Samt, schlammverkrustete Spitze, Löcher, durch die man andere Schichten und Stile sehen konnte.
    Sie sieht aus, dachte Richard, als wäre sie mitten in der Nacht in die modegeschichtliche Abteilung des Victoria and Albert Museums eingebrochen und hätte alles, was sie hatte mitgehen lassen, anbehalten.
    Richard haßte Leute, die das Offensichtliche aussprechen : Leute, die einem Dinge sagen, die einem unmöglich entgangen sein können: »Es regnet«, oder »Ihre Einkaufstüte ist gerade gerissen, und Ihr Essen ist in die Pfütze da gefallen«, oder gar: »Au. Das tut bestimmt weh.«
    »Du bist also auf«, sagte Richard und haßte sich selbst.
    »Wessen Baronie ist das hier?« fragte das Mädchen. »Welchem Lehnsherrn bist du untertan?«
    »Ähm. Wie

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