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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Richard wurde klar, wie er selbst aussehen mußte: schlammverkrustet, unrasiert, zerknittert …
    »Garry? Ich … hör zu, ich weiß, wie ich aussehen muß. Ich kann das erklären.« Er dachte kurz nach. »Nein … kann ich nicht. Nicht wirklich.«
    »Schon gut«, sagte Garry. Seine Stimme klang besänftigend, vernünftig. »Ich weiß nicht recht, wie ich es dir sagen soll. Ist mir ’n bißchen unangenehm.« Er zögerte. »Schau mal«, erklärte er. »Ich bin nicht wirklich hier.«
    »Doch, das bist du«, sagte Richard.
    Garry schüttelte mitleidig den Kopf. »Nein«, sagte er. »Bin ich nicht. Ich bin du. Du sprichst mit dir selbst.«
    Richard überlegte dunkel, ob das einer von Garrys Witzen war.
    »Vielleicht wird dies …« sagte Garry. Er hob die Hände an sein Gesicht, drückte daran herum, quetschte, modellierte. Es verformte sich wie Knetmasse.
    »Ist es so besser?« sagte die Person, die Garry gewesen war, mit einer Stimme, die nervenzerreißend vertraut klang. Richard kannte dieses Gesicht. Er hatte es, seit er die Schule verlassen hatte, an den meisten Wochentagen morgens rasiert. Er hatte ihm die Zähne geputzt, die Pikkel ausgedrückt und gelegentlich gewünscht, es würde eher so aussehen wie das von Tom Cruise oder John Lennon oder …
    Es war sein Gesicht.
    »Du sitzt in der Rush-hour an der Haltestelle Blackfriars«, sagte der andere Richard. »Du führst Selbstgespräche. Und du weißt, was man über Leute sagt, die Selbstgespräche führen. Du rückst der Vernunft jetzt allerdings wieder ein wenig näher.«
    Und der feuchte, schlammverkrustete Richard starrte dem sauberen, gutangezogenen Richard ins Gesicht, und er sagte: »Ich weiß nicht, wer Sie sind oder was Sie vorhaben. Aber Sie sind nicht besonders überzeugend: Sie sehen mir nicht mal ähnlich.«
    Er wußte, daß er log.
    Sein anderes Ich lächelte traurig und schüttelte den Kopf.
    »Ich bin du, Richard. Ich bin das, was von deiner Vernunft übrig ist …« Der andere Richard starrte ihn aufmerksam an. »Konzentriere dich! Sieh dir diesen Ort an, bemühe dich, die Menschen wahrzunehmen, versuche, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen … du bist bereits dichter an der Realität, als du es in der ganzen letzten Woche warst …«
    »Das ist alles Quatsch«, sagte Richard, ausdruckslos, verzweifelt.
    Er schüttelte den Kopf, doch er blickte auf den Bahnsteig. Irgend etwas flackerte am Rande seines Sichtfeldes.
    Er folgte der Bewegung mit dem Kopf, doch es war fort.
    »Schau hin«, flüsterte sein Doppelgänger mit dieser Stimme, die Richard nur allzu gut kannte.
    Er stand auf dem leeren, schwach beleuchteten Bahnsteig einer U-Bahn-Haltestelle, die wirkte wie ein einsames Mausoleum.
    Und dann …
    Der Lärm und das Licht trafen ihn wie ein brutaler Hieb. Er stand an der Haltestelle Blackfriars, mitten in der Rush-hour. Leute hasteten an ihm vorbei: eine Explosion von Lärm und Licht, von drängelnden Menschen.
    An der Haltestelle wartete ein Zug. Richard sah sein Spiegelbild in einem Fenster.
    Und so sah er aus:
    Er sah wahnsinnig aus. Er hatte sich eine Woche lang nicht rasiert. Verkrustetes Essen klebte um seinen Mund und in seinem Bart. Er hatte ein relativ frisches blaues Auge, auf einem Nasenflügel wuchs eine Entzündung, ein schreiend roter Karbunkel. Er war schmutzig, von schwarzem, verkrustetem Dreck bedeckt, der seine Poren verstopfte und unter seinen Fingernägeln lebte. Seine Augen waren rot und glasig. Sein Haar war verfilzt und wirr.
    Er war ein verrückter Obdachloser, der mitten in der Rush-hour auf dem Bahnsteig einer von Menschen wimmelnden U-Bahn-Haltestelle stand.
    Er vergrub sein Gesicht tief in den Händen.
    Als er es wieder hob, waren die Menschen fort. Der Bahnsteig war wieder dunkel, und er war allein.
    Eine Hand fand die seine, hielt sie und drückte sie dann. Eine Frauenhand. Er roch ein vertrautes Parfum.
    Der andere Richard saß zu seiner Linken. Jessica saß zu seiner Rechten, hielt seine Hand und sah ihn an. Diesen Ausdruck hatte er noch nie auf ihrem Gesicht gesehen.
    »Jess?« sagte er.
    Jessica schüttelte den Kopf. Sie ließ seine Hand los. »Leider nicht«, sagte sie. »Ich bin immer noch du. Aber du mußt mir zuhören, Liebling. Du bist so dicht an der Realität wie schon – «
    »Andauernd redet ihr von der Realität, von der Vernunft, ich weiß nicht, was ihr …« Er hielt inne. Etwas fiel ihm wieder ein. Er schaute die andere Ausgabe seiner selbst an, die Frau, die er geliebt hatte. »Gehört das zu der

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