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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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war auf Deutsch, deshalb konnte ich den Titel nicht entziffern. Ich hielt es in der Hand und starrte das Cover an, als Carroll zurückkam.

    »Ah, Sie interessieren sich für Topologie?«
    »Nicht ganz. Es ist nur - dieses Symbol auf dem Umschlag. Das erkenne ich.«
    »Ja, der Doppeltorus.« Carroll nahm mir das Buch aus der Hand und legte es auf einen Stapel Aktenmappen. »Das ist ein Rezensionsexemplar, kam heute mit der Post. Offenbar habe ich vor zwanzig Jahren mit diesem Herrn zusammen einen Artikel verfasst, aber ich zermartere mir schon den ganzen Tag das Gehirn. Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Totaler Blackout. Das passiert, wenn man siebzig wird. Wussten Sie, dass der untere Mantel eines Vulkans in Form eines Doppeltorus fließt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Es ist vollkommen einleuchtend, aber ich hatte es irgendwie vergessen. Bald vergesse ich noch meinen eigenen Namen. Meine Tochter Genna hat mir kürzlich eine strikte Ginseng-Kur verordnet, aber bisher hat sie noch nicht angeschlagen.« Er lächelte und setzte sich, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß. Seine Hände waren glatt und fleckenlos, als gehörten sie zu einem viel jüngeren Mann. »Bitte setzen Sie sich doch. Am Telefon sagten Sie, Sie wollten über Peter McConnell sprechen. Wie ich schon sagte, ich bezweifle, dass ich da besonders hilfreich für Sie sein kann. Ich habe ihn seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Ich interessiere mich auch mehr dafür, wie er damals war.«
    »Wie er war?«
    »Das ist eine etwas peinliche Frage, aber ich habe gehört, McConnell hatte …« Ich warf einen Blick auf das Foto von ihm und McConnell. Mir fiel keine taktvolle Formulierung ein.

    »Ja?« Carroll beugte sich vor.
    »Ich hörte, er hatte Freundinnen.«
    Er lehnte sich wieder zurück und runzelte die Stirn. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Ein ehemaliger Student hier am Institut, Steve Strachman.«
    »Strachman«, wiederholte er mit sichtlichem Widerwillen.
    Ich wartete.
    »Tja, ja. Also Peter sah sehr gut aus. Sehr charmant. Bei Frauen kam er auf jeden Fall gut an, keine Frage. Aber an Freundinnen kann ich mich an sich nicht erinnern, abgesehen von Ihrer Schwester. Offen gestanden war ich froh, als er Lila kennenlernte. Seine Frau kam mir immer vor, als strebte sie gesellschaftlich nach Höherem, als sei sie mehr daran interessiert, was aus ihm werden könnte, als daran, wer er war.«
    »Was aus ihm werden könnte?«
    »Ja. Ich glaube, ihr war es völlig gleichgültig, auf welchem Gebiet er arbeitete, es hätte ebenso gut Physik oder Literatur sein können. Peter verlor selten ein schlechtes Wort über Margaret, aber einmal vertraute er mir an, dass ihr eigener Mangel an Bildung sie immer verunsichert habe - sie hatte es kurz auf dem College probiert, aber es war wohl nichts für sie - und sie wohl das Gefühl hatte, sich in den Augen ihrer Eltern dadurch rehabilitieren zu können, dass sie einen Akademiker heiratete. Es störte ihn, glaube ich, die Vorstellung, dass er ihren Erwartungen nicht gerecht werden könnte.
    Selbstverständlich schäumte sie vor Wut, als sie das mit Lila herausfand. Sie stieß alle möglichen Drohungen aus, aber Peter nahm sie nicht ernst. Als ich ihn ermahnte, er solle das nicht auf die leichte Schulter nehmen, versicherte er mir, das sei nur heiße Luft.«
    Jetzt war ich es, die sich vorbeugte. »Was für Drohungen?«

    »Dass sie am Institut Ärger machen würde. Dass sie Lila zur Rede stellen würde. Dass sie ihn verlassen und ihren Sohn Thomas mitnehmen würde. Aber Peter wusste, dass es Margaret nur um den äußeren Schein ging. Sie konnte nicht ertragen, zu ihren Eltern nach Hause zu gehen und ihre Niederlage einzugestehen. Obwohl sie völlig zu Recht unglücklich über die Affäre war, gab es gewisse Dinge, die sie sich vom Leben wünschte - Prestige vor allem. Sie glaubte, dass Peter ihr das geben könnte.«
    »Das bestätigt, was McConnell mir über sie erzählt hat.«
    »Sie haben mit ihm gesprochen?«
    »Ja.«
    Er stellte die Beine nebeneinander. Am rechten Fuß trug er eine blaue Socke, am linken eine gelbe. »Wann?«
    »Vor einem Monat. In Nicaragua.«
    »Das hat er gar nicht erwähnt«, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir.
    »Sie sprechen mit ihm?«
    »Nicht am Telefon natürlich«, meinte Carroll. »Briefe.«
    »Aber ich dachte, Sie hätten gesagt …«
    »Ach, das. Es stimmt, ich habe ihn seit zehn Jahren nicht gesehen . Ich sagte nicht, dass wir keinen Kontakt

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