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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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zu führen. Kein Computer, der vernebelt seiner Meinung nach nur den Verstand. Wie schon erwähnt schickt er mir Briefe, obwohl Briefe vielleicht nicht ganz das passende Wort dafür ist. Im Allgemeinen stehen da ein paar belanglose Textzeilen über das Wetter oder eine Reparatur am Haus, gefolgt von Seiten um Seiten von Berechnungen in Langschrift. Viele Jahre habe ich die Briefe selbst gelesen, aber seit meine Augen nachlassen, tippt meine Sekretärin die Briefe für mich ab, bevor ich sie mir ansehe. Peter hat eine unmögliche Handschrift.«
    Carroll zeigte auf einen mit Aktenmappen vollgestopften
Pappkarton auf dem Fußboden. »Da sind sie, sortiert nach Datum. Anfangs bewahrte ich sie einfach in einer Schublade auf, weil ich dachte, er käme bald nach Hause. Ein Jahr verging, dann das zweite, dritte, und mir wurde klar, dass er nicht zurückkäme. Ich weiß, ich sollte einen besseren Platz dafür finden - ich bin immerhin der einzige Mensch auf der Welt, der Peters Arbeit schriftlich hat -, aber ich habe mich daran gewöhnt, seine Briefe in meiner Nähe zu haben, sodass ich jederzeit einen herausziehen kann. Sie sind hervorragend. Diese Kiste steckt voller Arbeit, die ziemliches Aufsehen erregen könnte. Immer wieder versuche ich, Peter dazu zu überreden, die Sachen zur Veröffentlichung einzureichen. Aber ich glaube, er hat sich an die Anonymität gewöhnt.«
    »Mir gegenüber war er sehr bescheiden«, sagte ich. »Er gab keinerlei Hinweis darauf, dass er an etwas von Belang arbeitet.«
    »Er ist ein seltenes Exemplar«, meinte Carroll. »Selbst bevor seine Karriere ausgebremst wurde, war deutlich zu erkennen, dass es ihm nicht um Ruhm oder Anerkennung ging. Er liebte einfach seine Arbeit.«
    »Wie Lila«, sagte ich.
    Carroll zog eine Augenbraue hoch. Nach kurzem Zögern sagte er: »Sicherlich, sie genoss die Arbeit. Aber man darf nicht vergessen, dass Ihre Schwester ziemlich ehrgeizig war.«
    Ich klebte immer noch am vorherigen Thema. »Sie sagten, McConnells Frau Margaret habe gedroht, nachdem sie von der Sache mit Lila erfuhr. Wann war das?«
    Carroll überlegte. »Soweit ich mich entsinne, war das vielleicht einen Monat vor …« Er stockte, als suchte er nach einer möglichst schonenden Formulierung. »Vor dem Ableben Ihrer Schwester.«

    »McConnell sagte, er habe seiner Frau erst wenige Tage vor Lilas Verschwinden von ihr erzählt.«
    »Das hat er gesagt?«
    »Warum sollte er mich anlügen?«
    Carroll rutschte auf seinem Stuhl herum und nestelte an seinem Uhrarmband. »Ich kann nicht für Peter sprechen. Aber was ich sagen kann, ist, dass er sich immer vor seine Familie stellte. Was für Fehler Margaret auch hatte, sie war eine gute Mutter. Für Peter war das Wichtigste auf der Welt sein Sohn, und er tat alles dafür, damit der Kleine bei seiner Mutter bleiben konnte. Für Margaret nahm er bereitwillig die Schuld auf sich.«
    »Ich kann nicht ganz folgen.«
    Carroll zögerte. »Sie müssen verstehen, dass ich nicht gern mehr dazu sagen möchte, da es keinerlei Beweise gibt, die meine Theorie stützen würden.«
    »Ihre Theorie?«
    »Margaret kannte einige äußerst zwielichtige Gestalten. Und Lila war ihr ein Dorn im Auge. Wohlgemerkt, es gibt keine Indizien dafür, es ist nur ein Bauchgefühl. Und ein Bauchgefühl, fürchte ich, zählt nicht viel.«
    »Tut mir leid. Ich muss Sie bitten, deutlicher zu werden.«
    Carroll schlug die Beine wieder übereinander. Als er sein Gewicht verlagerte, konnte ich den Innenkragen seines Jacketts sehen. Sein Name war in roter Schreibschrift eingestickt. »Es wäre unklug von mir, weiter darauf einzugehen. Vielleicht habe ich schon zu viel gesagt. In jedem Fall hielt Peter meine Verdächtigungen für unbegründet.«
    »Und was ist mit Strachman?«, fragte ich weiter. »Warum hat er niemandem von McConnell und Lila erzählt?«
    »Ach ja, Strachman. Das war auch interessant. Strachman setzte sein Schweigen zu seinem persönlichen Vorteil ein.«

    »Zu welchem Zweck?«
    »Peter und ich arbeiteten zusammen an einer Sache. Unter normalen Umständen hätte Strachman keinen Zugang zu mir gehabt. Um ganz ehrlich zu sein, ich konnte ihn nicht leiden. Er war in jeder Hinsicht das Gegenteil von Peter: zugeknöpft, humorlos, launisch. Und eifersüchtig. Ich kann Ihnen versichern, dass er sowohl persönlich als auch beruflich alles getan hätte, um an Peters Stelle zu sein - Peters Naturtalent zu besitzen, ganz zu schweigen von Lilas Zuneigung.«
    »War er verliebt in

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