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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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Der Transporter der Spurensicherung folgte ihm; die Fahrerin warf Kendall einen vernichtenden Blick zu.
    Mike gluckste. »Was war das denn?«
    »Verachtet zu werden, gehört zum Job.« Kendall musterte den Polizeiwagen, der die Zufahrt zur Nebenstraße blockierte. »Ich würde liebend gerne zum Fluss runterfahren und sehen, was die Cops da treiben.«
    »Aber nicht über diese Straße«, meinte Mike. »Die Cops werden uns nicht reinlassen.«
    »Meinst du, du findest einen anderen Weg zum Fluss?«, fragte sie.
    »Vielleicht. Könnte aber sein, dass wir ein bisschen wandern müssen.«
    »Kein Problem.«
    »Dann steig ein.«
    Sie fuhren an dem Polizisten vorbei, der am Eingang zur Baustelle postiert war. Mike gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie wenden wollten.
    »Wir müssen uns beeilen«, meinte Kendall. »Er wird erwarten, dass wir gleich wieder an ihm vorbeikommen.«
    »Genau.«
    Mike fuhr weitere fünfhundert Meter über die holprige Straße. Kendall drückte die Hände gegen das Armaturenbrett und stemmte die Füße in den Boden des Wagens, um nicht nach vorne geworfen zu werden. Als sie das Ende der Straße erreicht hatten, wendete Mike den Wagen und stellte den Motor ab.
    »Da ist ein kleiner Weg«, sagte Kendall. »Sieht so aus, als würde er zum Fluss führen.«
    »Dann los.«
    Kendall spähte durch den verschneiten Wald. Die Vorstellung, dort hindurchzustapfen, reizte sie nicht besonders, doch eine gute Story fiel einem nun mal selten in den Schoß. »Okay.«
    Mike verzog das Gesicht. »Ich hatte gedacht, du würdest es dir anders überlegen, wenn du erst mal das Gelände siehst.«
    Sie grinste ihn an und kletterte aus dem Wagen. »Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
    Mike folgte ihr. »Okay, wie du meinst.«
    Kalter Wind blies durch ihren Mantel, und sie vergrub die behandschuhten Hände in den Taschen. »Nimm auf, so viel du kannst«, sagte sie, als er mit der Kamera vorn um den Wagen herumkam. »Wir wissen nicht, wie schnell sie uns verscheuchen.«
    Sie mussten eine Viertelstunde gehen, bevor sie um eine letzte Biegung kamen und die Bäume sich zu einem schneebedeckten Feld entlang des Flusses öffneten. Mitten auf dem Feld standen sechs Polizeiwagen, einer davon ein Zivilfahrzeug, außerdem ein Vermessungswagen und ein schwarzer Geländewagen. Hinter den Fahrzeugen flatterte in der Nähe des frostigen James River gelbes Absperrband im Wind.
    Kendall betrachtete die herumstehenden Leute. Sie war gut darin, sich rasch einen Überblick zu verschaffen und zum Kern einer Story vorzudringen. Ihr Herz hämmerte in einer Mischung aus Angst und Erregung. Sie hatte ganz vergessen, wie sehr sie die Jagd nach brandheißen Nachrichten liebte. In den letzten Monaten hatte sie vom Studio aus berichtet, und wenn sie mal herauskam, waren die Themen eher banal.
    Während sie sich nun bemühte, nicht im Schlamm zu versinken, wurde ihr klar, dass sie träge geworden war. Gar nicht gut. Bequemlichkeit war der Beginn schleichenden Niedergangs.
    »Die anderen Nachrichtensender sind noch nicht hier.« Ihre Stimme verriet ihre Aufregung. »Mit ein bisschen Glück kriegen wir ein Interview, bevor sie da sind. Komm mit.«
    Kendall kannte alle Detectives vom Morddezernat und auch etwa ein Dutzend aus den anderen Dezernaten. Natürlich sah es keiner von ihnen gern, wenn sie an einem Tatort auftauchte, doch es gab so etwas wie gegenseitige Wertschätzung. Hoffte sie zumindest.
    Kendalls Blick blieb an den breiten Schultern eines sehr großen Mannes hängen. Er wandte ihr den Rücken zu, doch sie erkannte die zerschlissene Lederjacke, die ausgeblichenen Jeans und den schlanken Körper. Jacob Warwick.
    Er stand am Flussufer, blickte in die Ferne und bewegte die Finger der rechten Hand, als wären sie steif. Sie hatte irgendwo gehört, dass er letztes Wochenende am Boxwettkampf einer Wohltätigkeitsveranstaltung teilgenommen hatte. Er hatte einiges einstecken müssen, aber am Ende hatte er nach Punkten gesiegt. Er war ein harter Kämpfer, der niemals aufgab.
    Aus seiner Hartnäckigkeit würde sie dem Mann sicher niemals einen Vorwurf machen. Sie hatte ihr letzten Sommer das Leben gerettet …
    Der Serienmörder, der sich selbst »Hüter« nannte, hatte sie in das Henkersgemach in seinem Keller verschleppt. Er hatte ihr in die Schulter geschossen, und sie war rückwärts gestolpert und auf den harten Zementboden gestürzt. Vor Schmerz hatte sie kaum atmen können.
    Der Hüter hatte mit erhobener Axt über ihr gestanden und

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