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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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tropfen. Pete hat die ganze Nacht hindurch geflucht und geschimpft.«
    Dr. Christopher sah ihn mit zweifelndem Blick an. »Und das ist eine glückliche Erinnerung?«
    »Am nächsten Morgen sind wir aufgestanden, haben das triefende Zelt hinten in seinen Transporter geworfen und sind in irgendeine Kleinstadt gefahren. Wir haben am nächstbesten Restaurant angehalten und dort gefrühstückt. Wir hatten wahnsinnigen Hunger. An dem Morgen gab’s die besten Pfannkuchen, die ich je gegessen habe.« Die Kehle wurde ihm eng, als er sich das Erlebnis ins Gedächtnis rief. »An dem Morgen hat Pete mir gesagt, dass er immer zu mir halten würde. Er war der erste Mensch, der das je zu mir gesagt hat.«
    Dr. Christopher saß ganz still, während Jacob ein paarmal tief einatmete. Er sammelte sich und seine Gefühle, die auf einmal offen zutage lagen. »Es ist in Ordnung, dass Sie wegen dieses Verlustes trauern, Jacob. Pete Myers hatte auch gute Seiten, und das müssen Sie anerkennen.«
    Jacob bewegte die rechte Hand und merkte, wie steif sie war. »Er hatte recht, was das Boxtraining anging.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Letztes Wochenende habe ich es übertrieben. Wenn Pete meine Hände nach dem Kampf gesehen hätte, wäre er stinksauer gewesen. In meiner rechten Hand habe ich mehrere Haarrisse, und die Ärzte meinen, wenn ich nicht aufhöre, kriege ich am Ende noch Arthritis.«
    »Dann hören Sie doch auf.«
    Typisch Frau. Sie verstand es nicht. »Leichter gesagt als getan.«
    »Was gefällt Ihnen so sehr am Boxen?«
    »Der Rausch. Die körperliche Anstrengung. Die Spannung, wenn ich in den Ring steige.«
    »Und wenn Sie in den Ring steigen, sind Sie Pete am nächsten.«
    Er hatte es nie aus diesem Blickwinkel betrachtet, aber sie hatte recht. »Ja, kann sein.«
    Sie beugte sich vor. »Ehren Sie Pete, indem Sie auf sich achtgeben. Das wäre es, was er wollen würde.«
    Jacob spürte einen Kloß im Hals. »Warum wollen alle, dass ich fühle , wenn es sich doch so grauenhaft anfühlt?«
    Dr. Christopher lächelte. »Es gibt nun mal Hochs und Tiefs im Leben. Sie müssen sie im Gleichgewicht halten.«
    Der Küchenwecker hinter ihr klingelte, und sie schaltete ihn aus. »Offenbar ist Ihre Zeit um.«
    Jacob lehnte sich entspannt auf dem Sofa zurück. »Gott sei Dank. Dann bin ich mit meinen Pflichtterminen durch?«
    Sie wirkte belustigt. »Sie sind fertig und können gehen.«
    »Prima.« Er stand auf, merkte jedoch, dass die hartnäckige Verspannung in seinem unteren Rücken schwächer geworden war. Und er konnte atmen, ohne eine Last auf den Schultern zu spüren.
    Sie nahm ihren Terminkalender und blätterte darin. »Dann bis in zwei Wochen?«
    »Sie haben doch gesagt, ich bin fertig.«
    Sie erhob sich und richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter fünfundfünfzig auf. »Sie haben recht, Sie müssen nicht wiederkommen. Ich dachte nur, Sie möchten vielleicht.«
    Freiwillig zur Therapie zu gehen, fühlte sich übertrieben an. Das war etwas, was Weicheier und liberale Softies taten. Dennoch hörte er sich selbst sagen: »Lassen Sie mich darüber nachdenken.«
    Sie zuckte die Achseln und klappte den Terminkalender zu. »Na schön.«
    Jacob verließ das Büro, zog seine Jacke über und ging zum Aufzug. Als er auf den Knopf drückte, fühlte er sich so gut wie lange nicht. Er spürte kein Verlangen mehr danach, auf einen Sandsack einzuprügeln. Eine Last war ihm von den Schultern genommen worden. Sekunden später öffnete sich die Tür.
    Im Aufzug stand eine Frau. Sie hielt den Blick gesenkt, aber ihre Körpersprache legte nahe, dass sie ein paar Runden im Ring hinter sich hatte. Sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich.
    Es war Kendall Shaw.
    »Was zum Teufel ist denn mit Ihnen passiert? Ist alles in Ordnung?«
    Die Sorge um sie, die in Jacob Warwicks Stimme lag, überraschte Kendall. Das hatte sie schon lange nicht mehr gehört.
    Er war so ungefähr der letzte Mensch, den sie jetzt sehen wollte. Sie hatte gerade ihre Physiotherapiesitzung hinter sich, und ihr war nicht nach Kräftemessen zumute.
    Trotzdem hob sie das Kinn. Sie wollte nicht zeigen, wie weh ihr Schulter und Arm taten. »Mein Physiotherapeut ist ein Sadist.«
    Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er den Aufzug betrat und auf den Knopf für das Erdgeschoss drückte. »Wieso?«
    Jacobs natürlicher, männlicher Duft benebelte Kendalls Sinne. Seine Gegenwart füllte die unscheinbare Kabine mit Energie. Beides bewirkte, dass sie etwas leiser

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