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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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eine total verkorkste Familie, das sehe ich ja ein. Jeder, der so was hinter sich hat, hat ein Problem, Menschen zu vertrauen. Aber ich grüble nicht deswegen herum.«
    »Zu wissen, dass Sie Probleme mit dem Vertrauen haben, und zu begreifen, wie das ihr Leben beeinträchtigt, sind zwei verschiedene Dinge.«
    Es lief immer wieder auf dasselbe hinaus. »Es beeinträchtigt mich nicht. Jedenfalls nicht bei der Arbeit.«
    »Es gibt im Leben nicht nur die Arbeit.«
    Er spielte mit dem Saum seiner Jeans. »Ich bin gut im Job. Ich halte mich fit. Ich helfe den Nachbarn, wenn sie Hilfe brauchen. Was soll ich denn noch tun?«
    Sie beugte sich vor. »Wann haben Sie zum letzten Mal Freude empfunden?«
    »Das ist leicht. Im Dezember haben wir einen Kerl verhaftet. Er war Dealer und hatte zwei seiner jugendlichen Drogenkuriere umgebracht. Hat sich verdammt gut angefühlt, ihn zur Strecke zu bringen.« Das Hochgefühl hatte mehrere Tage angedauert.
    »Das ist Zufriedenheit. Was ist mit Freude? Lachen?«
    Er legte den Kopf zurück und versuchte, die Geduld zu bewahren. »Ich arbeite im Morddezernat. Freude gehört nicht zur Stellenbeschreibung.«
    »Sie gehört zur Beschreibung eines ausgeglichenen Menschen.«
    Er begriff, worauf dies hinauslief. Es reichte nicht, dass er Mörder fing. Jetzt musste er auch noch nachweisen, dass er glücklich war. So wie das mit der Doktorin lief, würde ihr Gutachten nicht sehr vorteilhaft für ihn ausfallen. Er musste sich etwas einfallen lassen. Um nicht zu lange nachdenken zu müssen, ging er zum letzten glücklichen Augenblick in seinem Leben zurück. »Das letzte Mal, als ich Freude empfunden habe? Letzten Sommer. Pete und ich waren im Studio. Er hat die Schnürung meiner Boxhandschuhe überprüft. Er hat mich immer gewarnt, ich würde mir die Hände verletzen, wenn ich es nicht langsamer anginge. Zu wissen, dass jemand auf mich aufpasste, war ein gutes Gefühl.«
    Sie schwieg einen Augenblick lang. »Er fehlt Ihnen.«
    Jacob antwortete nicht. Er biss die Zähne zusammen, bis ein Muskel in seinem Gesicht zu zucken begann.
    »Er fehlt Ihnen.« Das war neues Terrain für beide.
    Die Brust schnürte sich ihm zusammen. Und mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbringen konnte, sagte er: »Ja. Er fehlt mir.«
    »Und das ist in Ordnung.«
    Er beugte sich vor und verschränkte die langen Finger. Die Worte blieben ihm in der zugeschnürten Brust stecken. »Es fühlt sich nicht richtig an.«
    »Ich bin nicht hier, um den Mann oder seine Entscheidungen zu verteidigen, aber als Sie jung und schutzlos waren, hat er Sie nie im Stich gelassen, oder?« Sie sprach mit sanfter Stimme.
    Jacob biss sich auf die Lippen. »Nein.«
    Dr. Christopher lehnte sich entspannt zurück, als hätte sie bekommen, was sie gewollt hatte. »An welche guten Zeiten mit Pete erinnern Sie sich?«
    Er atmete tief aus. »Wie sind wir denn auf dieses Thema gekommen? Ich mag es nicht.«
    »Ich weiß.« Sie lächelte. »Betrachten Sie es mal so. Heute ist Ihr letzter Pflichttermin.«
    Er trommelte mit dem Finger auf seinem Oberschenkel. »Ich rede nicht gern über Pete.«
    »Aber Sie sollten über ihn sprechen.«
    Die Tür zu den Erinnerungen auch nur einen Spalt zu öffnen, konnte leicht zu einer Überschwemmung führen.
    »Erzählen Sie mir von einem schönen Erlebnis, das Sie miteinander hatten.«
    Mist. »Je schneller ich auspacke, desto schneller kann ich wieder zur Arbeit gehen?«
    »Ja.«
    »Eine Erinnerung?«
    »Einverstanden.«
    Er beugte und streckte die Finger, starrte auf eine Ecke des Couchtisches und ließ seine Gedanken schweifen. Rasch blieben sie bei einer Begebenheit hängen. »Als ich fünfzehn war, beschloss er, dass wir zelten gehen müssten. Ich war in dem Sommer rotzfrech und anstrengend wie immer. Also ging er mit mir zelten.« Er zog einen Mundwinkel nach oben. »Es waren die beiden schlimmsten Tage unseres Lebens.«
    »Wieso das?«
    »Es ging einfach alles schief. Keiner von uns hatte die geringste Ahnung von dem, was wir da taten. Wir waren Stadtmenschen. Wir kamen Freitag spät auf dem Zeltplatz an. Es war heiß, und wir waren müde. Wir versuchten, das Zelt aufzustellen, das wir uns geliehen hatten. Als wir alle Heringe im Boden hatten, merkten wir, dass es verkehrt herum stand. Es dauerte eine weitere Stunde, es umzudrehen und neu aufzustellen. Dann fing es an zu regnen. Wie aus Eimern. Nach einem Monat Dürre regnete es. Der Boden um das Zelt herum war überschwemmt, und dann begann es ins Zelt zu

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