Niemand hört dich schreien (German Edition)
wünschte, ich würde sie kennen.«
Je mehr sie redete, desto bekümmerter schien er zu werden. »Du bist zu lange allein gewesen. Du hast so viele schlechte Gewohnheiten angenommen.«
»Ich bin nicht perfekt, das sehe ich ein.« Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Der Kerl war komplett durchgeknallt. Er konnte ihr alles Mögliche antun. Und dann traf sie die Erkenntnis, dass sie ihm gesagt hatte, sie sei ihren Eltern und ihrem Exmann entfremdet. »Ich habe viele Freunde. Und sie warten auf mich.«
Wieder stand er auf und trat hinter sie. Er legte ihr die Hände auf die Schultern. Unter seinen Fingerspitzen jagte ihr Puls. »Freunde kommen und gehen. Die Familie bleibt für immer.«
Sie wollte gerade widersprechen, als sie spürte, wie seine Hände sich nach oben zu ihrem Hals bewegten. »Was tun Sie da?«
»Dich zur Familie schicken. Ruth wartet. Und ich weiß, dass sie darauf brennt, dich zu sehen.«
Der zunehmende Druck seiner Hand erschwerte ihr das Schlucken. Sie würgte. »Ich kenne keine Ruth.«
Er begann zuzudrücken. »Doch, das tust du.«
Sie begann, den Kopf hin- und herzuwerfen und mit den Füßen zu treten. Gott, wenn sie ihn nur hätte beißen können. Aber seine Hände waren unglaublich stark, und trotz ihres Gezappels blieb der Druck gleichbleibend fest.
»Kämpf nicht dagegen an.« Seine Stimme war so weich und sanft. »Ich gebe dir das, was du immer gebraucht hast.«
Luft zu bekommen, wurde absolut vorrangig. Zuerst gelang es ihr noch einige Male, kurz Luft zu schnappen, während sie würgte, aber rasch war das nicht mehr möglich. Sie würde sterben, weil er sie mit jemand anderem verwechselt hatte.
Bald verschwamm ihre Sicht, und ihr wurde schwindelig. Ihr Körper schrie nach Sauerstoff. Ihre Muskeln verkrampften sich. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte. Ihre Brust brannte wie Feuer.
Ihr Geist glitt zu einer Erinnerung, die sie nur selten zuließ. Ihre Mutter. Sie lächelte Vicky an. Und nannte sie mein kleiner Pfirsich .
Und dann hörte ihr Herz auf zu schlagen, und alles wurde schwarz.
9
Sonntag, 13. Januar, 9:00 Uhr
»Danke, dass Sie so früh Zeit für mich haben«, sagte Dana Miller.
Nicole lächelte und streckte der Frau, die einen Nerz und darunter einen eleganten Armani-Anzug trug, die Hand entgegen. Ihr dunkles Haar war zu einem schlichten Knoten hochgesteckt, und an ihren Ohrläppchen glitzerten einkarätige Diamantohrstecker. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hatte Dana auf dem Immobilienmarkt ein Vermögen verdient.
Nicole lächelte. »Kein Problem. Es kommt häufig vor, das ich mich morgens mit meinen Kunden treffe.«
»Aber der Sonntag geht wirklich über das Übliche hinaus. Mein Terminkalender ist im Moment schrecklich voll.« Dana schlüpfte aus dem Nerz. An ihrem Jackenaufschlag steckte eine Diamantbrosche. »Und dann ruft mich gestern meine Marketingleiterin an und sagt, dass sie die Fotos für die Werbekampagne unbedingt bis Montagnachmittag braucht. Wir gestalten die Webseite neu, und sie will neue Porträtaufnahmen von mir.«
»Sie führen ein hektisches Leben.« Nicole nahm den Mantel entgegen und hängte ihn an einen Garderobenständer neben der Tür. Die Fensterläden standen offen, und das Morgenlicht strömte ins Atelier. Der winterliche Himmel draußen war strahlend blau.
»Normalerweise geht es. Aber ich verkaufe die Grundstücke an der River-Bend-Baustelle, und nach den neuesten Schlagzeilen hatte ich alle Hände voll damit zu tun, den Schaden zu begrenzen.«
»Hat man dort nicht eine Tote gefunden?«
Dana verzog das Gesicht. »Ja. Schrecklich. Arme Frau.«
»Der Mord schadet doch sicher dem Geschäft.«
»Eigentlich haben die Anfragen im Verkaufsbüro eher zugenommen. Das Problem ist, die Polizei gibt den Tatort nicht frei, und Adam Alderson liegt mit den Vermessungen hinter dem Zeitplan, was die Bauarbeiten natürlich verzögert. Es ist eine Katastrophe.« Danas Blick wanderte zu Nicoles Bauch. »Ich vermute, unverhoffte Überraschungen kennen Sie selbst zur Genüge.«
Die Anspielung auf das Baby traf Nicole völlig unvorbereitet. Danas Unverblümtheit trieb sie in die Defensive, und das machte sie zornig. Als ihr die Röte in die Wangen stieg, rief sie sich selbst in Erinnerung, dass sie nichts Falsches getan hatte.
»Sie sind wütend wegen meiner Bemerkung.«
»Offen gestanden, ja.«
Dana ließ sich nicht bremsen. »Dieses Baby muss Ihre Welt doch völlig auf den Kopf stellen.«
Nicole hob das Kinn. »Damit komme ich schon
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