Niemand hört dich schreien (German Edition)
klar.«
»Das ist gut. Ich mag Frauen mit Rückgrat.« Dana grinste. »Es ist wirklich nett von Ihnen, dass Sie sich heute Zeit für mich nehmen.«
Nicole brauchte die Ablenkung durch die Arbeit. Sie hatte den Großteil des vergangenen Abends damit zugebracht, sich die Profile der Adoptivfamilien anzusehen. Zuletzt war sie wegen der Entscheidung wieder einmal innerlich zerrissen, verängstigt und durcheinander gewesen. »Ich freue mich, dass Sie angerufen und wir einen Termin gefunden haben. Kann ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?«
Dana lächelte. »Tee wäre wunderbar.«
Nicole ging an der Kamera vorbei, die gegenüber dem Sofa mit dem Fotohintergrund aufgebaut war. Sie hatte eine kleine Küche mit einem elektrischen Wasserkocher und einer weißen Porzellandose voller Teebeutel.
»Sie trinken doch einen Tee mit, oder?«
Nicole schüttelte den Kopf. »Seit ich schwanger bin, habe ich nicht mehr viel Lust auf Tee.«
Dana suchte sich eine Sorte aus der Dose aus, und Nicole goss das Teewasser in eine der altmodischen Tassen, die sie auf einem Flohmarkt gefunden hatte. Der zusammengewürfelte Stil passte zu ihr.
Dana nippte an ihrem Tee. »Ich habe gehört, dass sich bei einer Frau in der Schwangerschaft der Geschmackssinn verändert. Und auch, dass man empfindlicher für Gerüche wird.«
»Stimmt genau.« Nicole ertrug den Geruch der Chemikalien in ihrer Dunkelkammer kaum noch, womit sie vor sich selbst rechtfertigte, dass sie an nichts arbeitete, was sich für eine Kunstausstellung geeignet hätte. Alles, was sie in letzter Zeit gemacht hatte, war digital gewesen. Nach der Geburt des Kindes würde alles wieder seinen normalen Gang gehen.
Nach der Geburt.
»Solange Sie ihren Tee trinken, bereite ich die Kamera vor.«
»Ich habe es nicht eilig«, sagte Dana. Sie trank ihren Tee, ging im Raum umher und betrachtete Nicoles Fotos, die an den Wänden hingen. Auch wenn sie äußerlich ruhig schien, verströmte Dana eine Energie, die sie kaum unter Verschluss halten konnte. »Wann kommt denn das Kind?«
Nicole legte eine Hand auf ihren Bauch. »In ungefähr drei Wochen.«
Dana grinste. »Wow. Sie sind bestimmt aufgeregt.«
»Verängstigt« traf es besser. Aber das würde sie Dana nicht auf die Nase binden. »Es sind eine Menge Veränderungen.«
»Zu fühlen, wie sich das Kind in Ihnen bewegt, muss wunderbar sein.«
Eher, als ob ein Alien sich eingenistet hätte. Nicole deutete mit der Hand auf das Sofa. »Wenn Sie die Fotos bald brauchen, sollten wir lieber anfangen. Für die Bildbearbeitung benötige ich noch ein paar Stunden extra.«
»Selbstverständlich.« Dana stellte ihre Tasse neben den heißen Wasserkocher und ging zum Fotobereich.
Nicole stand hinter der Kamera. Sie spürte, wie sie wieder die Regie übernahm. »Möchten Sie gern Ihr Make-up auffrischen?«
»Nein.«
Das überraschte Nicole nicht. Das Make-up der Frau war makellos. »Dann nehmen Sie bitte Platz.«
Dana setzte sich, und Nicole begann, die Strahler um sie herum einzuschalten. »Haben Sie denn schon einen Namen für das Kind ausgesucht?«
Die Anspannung schnürte Nicole die Brust zu. Sie justierte die Strahler.
Während der letzten Monate hatten ihre Gespräche sich oft um das Baby gedreht. Frauen aller Altersklassen schwelgten in Erinnerungen an Schwangerschaften und Kinder. Einige hatten sogar Nicoles Bauch angefasst, als wäre er Allgemeingut. All das machte sie ganz elend. Da sie nicht wusste, ob sie ihr Kind würde lieben können, fühlte sie sich wie eine Betrügerin, wenn die Leute sie ausfragten. »Noch nicht.«
Nicole hielt einen Belichtungsmesser neben Danas Gesicht und las ihn ab.
Dana sah zu ihr auf. »Ich arbeite im Verkauf, Nicole. Ich bin eine Menschenkennerin.«
»Wirklich?«
»Sie machen sich wegen irgendetwas Sorgen.«
Nicole schluckte, aber ihr gelang ein Lächeln. »Alles, worum ich mir Sorgen mache, ist die Frage, wie ich ein tolles Bild von Ihnen zustande bringe.«
»Ich glaube, das stimmt nicht.«
Nicole ging nicht darauf ein. »So, drehen Sie ihre Beine zur Seite und schauen Sie in die Kamera.«
Dana tat wie geheißen. »Haben Sie denn Familie hier in der Nähe?«
»Nein. Meine Eltern sind vor einigen Jahren gestorben.«
»Brüder oder Schwestern?«
»Einzelkind.«
»Dann sind Sie also mit dem Kind allein.«
Nicole zog sich hinter die Kamera zurück und schaute durch den Sucher. »Lassen Sie uns anfangen.«
Danas Augen verengten sich unmerklich. »Sie weichen Fragen nach dem Kind
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