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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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öffentlich wird.«
    »Ja, klar, natürlich.«
    Auf einmal war Kendall furchtbar müde. »Ich gehe ins Bett. Alles in Ordnung bei dir?«
    Nicoles allzu strahlendes Lächeln wirkte wenig überzeugend. »Bestens.«
    Kendall bedrängte sie nicht. Es gab weiter nichts, was sie hätte sagen können, um die Entscheidung für Nicole leichter zu machen. »Okay, dann gute Nacht.«
    »Hey, du solltest mal mit Carnie reden. Sie ist gut darin, verschollene Familienmitglieder aufzuspüren.«
    »Ich weiß nicht recht.«
    »Sie ist so eine Art Adoptionsdetektivin. Wenn du Antworten willst, solltest du zu ihr gehen.«
    War sie tapfer genug, um nach Antworten zu suchen? »Danke.«
    Als Kendall die Treppe hinaufging, waren ihre Beine bleischwer. Sie konnte es kaum erwarten, unter die Decke zu schlüpfen. Eine Viertelstunde später hatte sie ihre Kleider aufgehängt und sich abgeschminkt. Sie öffnete ihr Medizinschränkchen und nahm ein Fläschchen mit Schlaftabletten heraus, die sie nach der Operation verschrieben bekommen hatte. Sie schaute das Fläschchen in ihrer Hand an. »Nein. Ich brauche das nicht.«
    Sie stellte die Tabletten wieder zurück und ging ins Bett. Den Wecker stellte sie nicht. Sie würde aufwachen, wenn sie eben aufwachte. Als sie einschlief, waren ihre Gedanken bei der Familie, die sie verloren hatte.
    Das kleine Mädchen hatte Angst.
    Sanfte, erstaunlich starke Arme stellten sie auf den Boden und schoben sie in den dunklen Wandschrank. Sie kauerte sich in die Ecke. Der Teppich kratzte sie an den Beinen. An ihrem Kopf fühlte sie Wintermäntel, die an Kleiderbügeln über ihr hingen.
    Die Frau legte ein Baby neben sie. Sofort strampelte es, ballte die winzigen Hände zu Fäusten und fing an zu weinen.
    Das kleine Mädchen war wütend auf den Säugling. Immer war er im Weg. »Ich mag das Baby nicht!«
    »Sei still«, mahnte die Frau. »Widersprich mir nicht.« Normalerweise war die Stimme der Frau sanft und geduldig. Jetzt klang sie zornig, angstvoll und verzweifelt. »Und sieh zu, dass das Baby ruhig bleibt.«
    Sie wollte nicht mit dem Baby allein gelassen werden. Es schrie und roch schlecht.
    Das Mädchen reckte die Hände in Luft und wollte aufstehen. »Nein, nein! Nimm mich mit! Nimm mich mit!«
    Die Frau, die sich bereits entfernt hatte, schob sie unsanft zurück. Tränen strömten über die Wangen der Frau. »Bleib hier. Geh nicht raus aus dem Schrank.«
    Die Tür wurde zugeschlagen, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.
    Finsternis brach über das Mädchen herein. Das Baby schrie. Die Unterlippe des kleinen Mädchens zitterte, und sie steckte den Daumen in den Mund. Sie mochte die Dunkelheit nicht. Mochte das Baby nicht. Mochte es nicht, wenn man sie alleinließ.
    Draußen vor der Schranktür fing die Frau an zu schreien. Zornig. Hysterisch. Angstvoll.
    Das kleine Mädchen drückte sich in die Ecke und rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen. Sie machte die Augen ganz fest zu und zog den Kopf ein.
    Sie versuchte, nicht zu weinen. Sie wollte tapfer sein. Aber es war einfach zu viel.
    Das Mädchen zog die Knie dicht an den Körper und begann zu weinen. Der Säugling, der ihre Not spürte, schrie noch lauter.
    Die Kehle des Mädchens wurde vor Angst ganz eng, und sie vergrub den Kopf in der hintersten Ecke. Die Schreie draußen hörten nicht auf. Sie hatte solche Angst, dass sie sich in die Hose machte.
    Und dann hörte sie Schritte, die sich der Tür näherten. Plötzlich fing jemand auf der anderen Seite an zu rufen. Die Schritte entfernten sich. Dann waren da nur noch Schreie und panisches Kreischen.
    Das kleine Mädchen hob die Hände, um sich die Ohren zuzuhalten und die schrecklichen Laute auszusperren. »Mommy, lass mich nicht allein.«
    Kendall schreckte aus dem Schlaf hoch und setzte sich kerzengerade auf. Ihr Herz hämmerte. Ihr Nachthemd war schweißnass, und sie merkte, dass sie geweint hatte.
    Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durchs Haar und wischte sich dann die Tränen aus dem Gesicht.
    »Verdammt noch mal! Das muss ein Ende haben.«

8
    Sonntag, 13. Januar, Sonnenaufgang
    Vicky Drapers Kopf schmerzte, als hätte man ihn gegen eine Wand gedonnert. Ihr Mund war staubtrocken. Die Muskeln in ihrem Körper fühlten sich an, als wären Bleigewichte an jeder einzelnen Faser befestigt. Ihr Zeitgefühl war verschwommen, und ihr fehlte jede Orientierung.
    Mist. So hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nach dem letzten Koks hatte sie sich geschworen, nicht mehr so abzustürzen, wenn

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