Niemand hört dich schreien (German Edition)
Ähnlichkeiten zwischen den Opfern?«, fragte Zack.
»Ich habe ein paar Tests gemacht. Aber es dauert ein bisschen, bevor ich die Ergebnisse bekomme.«
Jacob spürte, wie es hinter seiner Schläfe zu pochen begann. »Die Presse wird sich darauf stürzen.« Er hatte Kendall von dem Mord erzählt und fragte sich nun, ob sie Wort halten würde.
»Wie eine Meute Bluthunde«, meinte Zack.
Das Gummiband an Jacobs Finger schnellte zurück. Ob wohl Kendall Shaw die Meute anführen würde?
Die Schreie hatten aufgehört. Die Stille wurde nur von den schnellen, panischen Atemzügen des Mädchens unterbrochen. Selbst das Baby neben ihr war ruhig, als spürte es ebenfalls einen vorübergehenden Aufschub. Das Mädchen hatte sich ganz hinten in den Schrank gekauert und das Gesicht in die Ecke gedrückt. Die Mäntel, die über ihr hingen, streiften ihren Kopf. Sie glaubte nicht daran, dass sie in Sicherheit war. Ihr Herz klopfte.
Und dann – Schritte.
Langsame Schritte, die auf keinerlei Eile hindeuteten, knarrten vor dem Schrank. »Komm raus. Komm raus, wo immer du bist.«
Die vertraute Stimme war sanft, richtig freundlich.
Das kleine Mädchen wollte den honigsüßen Worten Glauben schenken. Sie sehnte sich nach der Sicherheit und dem Schutz einer Umarmung, aber sie regte sich nicht. Sie spürte, dass hinter der Süße etwas Böses lauerte.
Das Baby wurde unruhig und begann zu strampeln. In der Hoffnung, es beruhigen zu können, legte Kendall ihm unbeholfen eine Hand auf die Brust. Unter ihren Fingern klopfte das Herz des Babys schnell und leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Aber ihre Berührung machte das Kleine nur noch unruhiger. Es strampelte, wimmerte, und schließlich schrie es.
Draußen bewegte sich jemand auf die Schranktür zu. Kendall hatte panische Angst, und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie drückte sich an die harte Wand hinter ihr und hielt das Baby am Arm fest. Es weinte noch lauter. Die Schranktür ging auf.
In der Tür stand ein Mann. Das Licht hinter ihm ließ sein Gesicht im Dunkeln, fing sich aber auf der Stahlklinge seines Messers. Blut tropfte davon herab.
»Nein!«
Kendall saß aufrecht im Bett. Ihr Nachthemd war schweißnass, und Tränen strömten ihr über das Gesicht.
Mit zitternder Hand fuhr sie sich durchs Haar und atmete tief aus.
Sie sah auf die Uhr und stöhnte. Noch nicht mal elf. Bald würde sie ein wandelndes Gespenst sein.
Sie stand auf, griff nach dem Morgenmantel, der am Bettpfosten hing, und streifte ihn über.
Sie setzte sich an den Frisiertisch und starrte in ihr müdes Spiegelbild, während sie sich die Schulter rieb. Alle Träume hatten eines gemeinsam: Immer war sie ein kleines Mädchen – allein und verängstigt.
Sie hatte keinerlei Erinnerung an das Haus oder den Säugling, den Schrank oder den Mann mit dem Messer. Und doch kam der Traum immer wieder. Nacht für Nacht.
»Mist.« Sie bildete sich viel auf ihre Selbstkontrolle ein, und dieser Traum raubte sie ihr.
Sie trommelte mit den Fingern auf den Frisiertisch, während sie weiter ihr Gesicht im Spiegel anstarrte. Was war ihr zugestoßen, bevor sie adoptiert worden war? Sie dachte an die Fotos in ihrem Elternhaus. Seit ihrem dritten Lebensjahr hatten die Shaws jeden Augenblick ihres Lebens voller Stolz dokumentiert. Geburtstage, Halloweenkostüme. Preise. Abschlussprüfungen. Sie hatten jeden Moment ausgekostet und sie geliebt.
Das Leben vor ihrer Adoption jedoch war ein gähnendes schwarzes Loch. Keine Fotos, keine Geburtsurkunde, nicht einmal die Namen ihrer Eltern. Sie hatte gar nichts.
»Wer bist du?«, flüsterte sie, während sie ihr Spiegelbild anstarrte.
Als ihre Mutter gestorben war, war Kendall zu traurig gewesen, um ihre Unterlagen durchzusehen. Sie hatte sie einfach in Kartons verstaut und weggepackt. Und als sie in dieses Haus gezogen war, hatten die Umzugsleute die unberührten Kartons auf den Dachboden gestellt. Dort hatten sie die letzten fünf Monate gestanden. Unbeachtet und vergessen.
Kendall ging zu dem Einbauschrank in ihrem Zimmer, wo sich der Zugang zum Dachboden befand. Sie öffnete die Luke und fröstelte, als von oben ein kalter Luftzug kam und durch ihren Morgenmantel drang. Sie schüttelte die Kälte ab, schaltete das Licht an und stieg die unbehandelten Stufen hinauf. Die einsame Glühbirne warf Schatten in die dunklen Ecken.
Es befand sich nicht viel auf dem Speicher. Ein wenig Weihnachtsdekoration, die sie gekauft hatte, Mappen mit alten Storys, an
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