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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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angelogen und behauptet, dass sie ihre Regel hätte?«, fragte er die Krankenschwester.
    »Ich habe nicht gelogen! Bei einem jungen Mädchen können die Zyklen unregelmäßig sein, und es kommt mitunter auch zu Zwischenblutungen.«
    »Du bist eine Lügnerin und Gaunerin! Farida hat mir die Wahrheit gesagt. Und du, kleine Schlampe, geh in dein Zimmer runter. Aber so leicht wirst du mir nicht davonkommen!«
    Das war das letzte Mal, dass ich Galina in Bab al-Aziziya gesehen habe. Und erst sehr viel später, zu Beginn der Revolution, sollte ich sie zu meinem Erstaunen auf dem Bildschirm wiedersehen, in einem Filmausschnitt, der sie bei ihrer Rückkehr in die Ukraine zeigt, das Geheimnis ihrer libyschen Erfahrung tief in sich vergraben. Ein paar Tage nach dieser heftigen Unterredung ließ Gaddafi mich erneut zu sich rufen und fiel mit solcher Brutalität über meinen Körper her, dass ich vollkommen zerschlagen und voll blauer Flecke herauskam. Amal G., ein anderes Mädchen aus dem Haus, der mein Schicksal für gewöhnlich ziemlich gleichgültig war, war bestürzt, als sie mich sah. »Dich muss ich mal ein bisschen hier rausholen!« Ich registrierte es kaum, ich hatte keine Hoffnung mehr, die Tage vergingen, ich versank allmählich in Teilnahmslosigkeit. Aber sie kam wieder. »Mabruka ist einverstanden, dass ich dich zu meiner Familie mitnehme!«, verkündete sie triumphierend und nahm mich auf der Stelle mit, um den Tag bei ihr zu Hause zu verbringen, ihrem anderen »zu Hause«, wo ihre Mutter und ihre kleine Schwester bei einem guten Couscous auf sie warteten.
    Drei Tage danach erhielt sie noch einmal die Genehmigung, mich mit nach draußen zu nehmen. Unglaublich, diese neue,bedingte Freiheit, ich wusste überhaupt nicht, wie ich mir diesen Umschwung im Verhalten meiner Kerkermeister erklären sollte. Aber diese wenigen Stunden außerhalb des Kellers bedeuteten eine solche Atempause für mich, dass ich losstürzte, ohne Fragen zu stellen. Ich dachte nicht mal mehr an Flucht, hatte keine Hoffnung, keine Träume mehr. Ich war eine lebendig Begrabene, ohne irgendeine Zukunft außerhalb von Bab al-Aziziya. Eine jener Frauen unter so vielen anderen, die für immer ihrem Herrn und Gebieter gehörten. Ich konnte nicht ahnen, dass an diesem Tag ein anderer Mann in mein Leben treten würde.
    Amal G. war mit mir zum Essen in das alte Fischerviertel am Meer gefahren. Wir wollten gerade wieder wegfahren, sie setzte zurück, als ein Mann schrie: »Können Sie nicht aufpassen!« Erbost stieg er aus seinem Wagen, den wir beinahe gerammt hätten. Doch er beruhigte sich schnell. Ein Blick, ein Lächeln. Und es war um mich geschehen. Liebe auf den ersten Blick. Ich wusste nicht mal, dass es so etwas gibt. Ein Erdbeben, das die Zeit in ein Davor und ein Danach teilte. Er war um die dreißig, breitschultrig, kräftig, muskulös, ein Blick so schwarz wie seine Haare, aber voller Energie. Mehr noch: Kühnheit. Ich war überwältigt. Aber Amal G. fuhr los, nahm sofort Kurs auf Bab al-Aziziya, und das Leben ging weiter, zwischen Kellergeschoss und Zimmer des Meisters, zwischen Dämmerzustand und Unterwerfung.
    An einem Nachmittag, als sie mit ihrer kleinen Schwester auf einen Rummel wollte, durfte ich sie ein weiteres Mal in die Außenwelt begleiten. Sie zog mich mit zu den Karussells, eines davon sah aus wie ein großes rundes Sieb. Das Publikum setzte sich ins Innere des Kreises, hielt sich an den Rändernfest, und das Ding wurde in alle Richtungen geschüttelt. Wir lachten und schrien und versuchten uns im Gleichgewicht zu halten, als ich plötzlich entdeckte, dass derjenige, der das Karussell steuerte, der Mann von neulich war. Wieder trafen sich unsere Blicke, und er beschleunigte den Rhythmus des Schüttelns. Ein Gefühl zwischen Angst und Erregung. Je mehr ich lachte und mich festklammerte, desto mehr steigerte er den Takt.
    »Haben wir uns nicht schon mal gesehen?«, brüllte er.
    »Ja, ich erinnere mich. Wie heißt du?«
    »Hicham. Hast du eine Telefonnummer?«
    Es war unglaublich! So unerlaubt und so phantastisch! Er hatte kein Papier zur Hand, aber nannte mir seine Nummer, die ich sofort wählte, damit meine Nummer auf seinem Display erschien. Amal G. zog mich schnell mit sich fort.
    Bei meiner Rückkehr nach Bab al-Aziziya schwebte ich in süßer Euphorie. Das Leben bekam wieder Farbe. Ich rief ihn von meinem Zimmer aus an. Ich wusste, es war Wahnsinn, aber er nahm sofort ab.
    »Wo bist du?«, fragte er.
    »Zu Hause.«
    »Ich habe

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