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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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fand, weil Soraya kein Französisch sprach; er nahm Kontakt zu einer Anwältin auf, damit sie Papiere bekäme; er sorgte mehrere Monate lang für ihren Lebensunterhalt. »Es war schrecklich mitanzusehen, wie sie sich abstrampelte und doch immer wieder scheiterte. Betrogen von falschen Versprechungen, hintergangen von Männern, die nur daran dachten, sie auszunutzen. Ihr Fehler war natürlich, dass sie sich nicht hinsetzte und auf der Stelle Französisch lernte. Schuld daran waren ihre ersten Begegnungen, Warda und einige andere Leute, die sie im La Marquise traf, dem libanesischen Restaurant, in das ich eines Abends ging und das sich nach Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden in einen orientalischen Nachtklub verwandelte. Es war ja so viel leichter für sie, in einem Arabisch sprechenden Umfeld zu leben. Aber es verhinderte jede Integration in die französische Gesellschaft, nahm ihr jede Möglichkeit, Verbindungen aufzubauen, eine Ausbildungzu bekommen, einen Job. Soraya bemühte sich allerdings auch nicht sehr darum, sie ging nie vor 4 Uhr morgens schlafen und stand nie vor 11 Uhr auf, sperrte sich gegen jede Disziplin und jede Anweisung, von wem sie auch kam. Als wenn nach Gaddafi sich niemand mehr ein Recht oder eine Autorität über sie anmaßen dürfe.«
    Adel, der in Gabès früh seinen Vater verloren hatte, hatte als Ältester von drei Jungen sehr zeitig gelernt, das Familienoberhaupt zu sein. Er hatte sein Studium abgebrochen, um seiner Familie zu helfen, war nach Paris gegangen, hatte ein kleines Unternehmen für Bau und Renovierung von Wohnungen gegründet, für das er hart arbeitete. Er hatte Soraya wie »das neue Baby in der Familie« aufgenommen. Sie war verletzlich, er musste sich um sie kümmern. Ein bisschen verliebt in Soraya war er natürlich auch. Wer war es nicht, wenn er sie im La Marquise tanzen sah, die Masse ihrer schwarzen Haare um sich herumwirbelnd und aus vollem Halse lachend? Sie reizte die anderen Mädchen, sie war zu frei, zu strahlend, aber beim Personal schlug sie alle Beliebtheitsrekorde. Am Tage rauchte sie, telefonierte, saß vorm Fernseher. Manchmal weinte sie, wenn die Erinnerungen, die Fragen, die Ängste sie überkamen. Sie konnte, so scheint es, mit Adel über alles reden. Sogar über Gaddafi, und das, so meint er, mit einer »seltsamen Mischung aus Hass, unbändiger Wut und Respekt«. Bei diesem letzten Wort würde Soraya Einspruch erheben. Doch wie sollte man sich darüber wundern, dass sich in ihre Ablehnung und ihren Hass auf ihn so etwas wie Ehrfurcht für den Mann mischte, der in einem so prägenden Alter das Recht auf Leben und Tod über sie hatte?
    »Ich weiß«, sagte Adel mit Bedauern, »sie hätte gewollt, dass ich mehr Zeit für sie gehabt hätte, dass ich tagsüber mitihr ausgegangen wäre und mich, frei von Zwängen, auch ihrem nächtlichen Rhythmus angepasst hätte. Aber ich konnte es doch nicht! Ich war todmüde! Es ist nicht leicht, sich als Immigrant in Frankreich durchzuschlagen. Dazu muss man einen starken Willen haben und wie ein Wahnsinniger schuften. Das verstand sie nicht. Dazu war sie nicht bereit.« Das Zusammenleben musste ein Ende haben.
    Doch Adel überließ sie sich nicht selbst, als sie einen Job in einer ersten, danach in einer anderen Bar gefunden hatte. Er besuchte sie in ihrer Mansarde und kaufte vorher für sie ein. »Ich sah doch, dass sie nicht klarkam.« Als sie ihn anrief, um ihm zu sagen, dass sie auf dem Weg zum Flughafen sei und nach Libyen zurückfliegen werde, wollte er es nicht glauben. »Das wirst du doch nicht tun? Das kann nicht wahr sein!« Ein paar Stunden später rief sie ihn noch einmal aus Tripolis an.
    »Soraya! Du hast einen sehr großen Fehler gemacht!«
    »Ich hatte keine Wahl!«
    »Dann musst du’s auf dich nehmen.«

2
Libya, Hadija, Laila ... und viele andere
    Ich wollte noch andere Geschichten erzählen können als allein die von Soraya. Von weiteren Tragödien berichten, die junge Frauen erleben mussten, die das Unglück hatten, eines Tages dem »Führer« zu begegnen, und deren Leben in diesem einzigen Augenblick unwiderruflich erschüttert wurde. Ich wollte beweisen können, dass es sich dabei in Wahrheit um ein System gehandelt hat, das zahlreiche Mittäter hatteund über lange Zeit praktiziert wurde. Aber diese Frauen waren nicht leicht zu finden.
    Viele von ihnen sind nach der Befreiung von Tripolis aus Libyen geflohen in der Angst, sie könnten für Sympathisantinnen Gaddafis gehalten werden. Hatten

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