Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Soldatinnen ist schockiert.
Das Leben geht weiter. Libya wohnt wieder bei ihrer Familie, zeigt sich aber weniger eifrig in der Schule und geht mit immer größerer Angst zu den Versammlungen des Komitees, die von Funktionärinnen geleitet werden, die sich an der Universität sehr engagieren und alle durch das Bett des Führers gegangen sind. Im Laufe der Monate werden mehrere von ihren jungen Kameradinnen eine nach der anderen zu Gaddafi gerufen, nach Tripolis, nach Sirte, nach Misrata. Es kommt eigens ein Wagen, sie zu holen, mitunter sogar ein Flugzeug. Und was sie bei ihrer Rückkehr erzählen, stürzt Libya in tiefe Not. Aber was soll sie sagen? Wie soll sie dem entfliehen? Sechs Monate nach den Festlichkeiten des 1. September, anlässlich eines Besuches des Führers in Bengasi, ist sie an der Reihe. Eines Abends holen Funktionärinnen sie ab und bringen sie in seine Residenz, ziehen sie vollständig aus und schieben sie in sein Zimmer, trotz ihrer Tränen und flehentlichen Bitten: »Meine Mutter wird mich töten! Haben Sie doch Erbarmen!« Er wartet schon auf sie in einem seidenen Morgenmantel, vergewaltigt sie wortlos und schickt sie mit einem Klaps auf den Po wieder hinaus. »Gut gemacht, Mädchen!«Sie sagt ihren Eltern nichts, beschwert sich auch nicht im Revolutionskomitee, wo man jeden Tag damit droht, »Saboteure« in ein »Loch« zu werfen, die den Führer, »Freund, Beschützer und Befreier aller Frauen«, zu kritisieren wagen sollten. Doch sie zieht sich zurück, verdüstert sich, was ihre Eltern beunruhigt, die in dem Glauben, sie sei deprimiert oder verliebt, beschließen, sie zu verheiraten, ohne sie um ihre Meinung zu befragen. Eines Tages, als sie aus der Schule kommt, sieht sie, dass zu Hause ein Empfang vorbereitet ist. Die Gäste drängen sich, ein Imam ist anwesend, man hält ihr einen Heiratsvertrag unter die Nase. »So. Hier musst du unterschreiben.«
Als der Ehemann noch in derselben Nacht entdeckt, dass sie keine Jungfrau mehr ist, verlangt er empört die Scheidung. Er hätte sie auf der Stelle nach Hause schicken können, aber er zeigt sich »verständnisvoll« und wartet zwei Wochen. Sie schämt sich und wagt niemandem mehr in die Augen zu sehen, und der Gedanke, zu ihren Eltern zurückkehren zu müssen, versetzt sie in Panik. In ihrer Verzweiflung ruft sie ... in Bab al-Aziziya an. Wenn Gaddafi die jungen Kämpferinnen ermutigte, mit ihren »reaktionären« Familien zu brechen, hatte er ihnen da nicht eingehämmert, dass er immer für sie da wäre? »Nimm das nächste Flugzeug nach Tripolis«, sagt man zu ihr. Mehrere Frauen erwarten sie dort am Flughafen und bringen sie nach Bab al-Aziziya, das Libya als einen weitläufigen »Harem« beschreibt. Eine Truppe von Frauen lebt hier zusammen, in Doppel- oder Einzelzimmern, der Gnade des Führers, seinen Launen, seinen Phantasmen, seinen kleinsten Wünschen ausgeliefert. Die meisten von ihnen, die auf dem Umweg über die berüchtigten Revolutionskomitees zu ihm gelangt sind, sind vergewaltigt worden und haben keinenanderen Ausweg gesehen, der Schande zu entfliehen, in die sie ihre Familie gestürzt haben, als in seinen Dienst zu treten. Zumindest werden sie beköstigt, haben ein Dach über dem Kopf, werden gekleidet (in die Uniform des Wachpersonals). Zumindest haben sie einen Scheinstatus (Hüterinnen der Revolution). In ihrer Unterkunft ist ihnen nichts verboten: Alkohol, Zigaretten und Haschisch werden reichlich konsumiert. Gaddafi ermuntert sie sogar dazu. Und das Tages- wie das Nachtprogramm ist unveränderlich das gleiche: »Man isst, man schläft, man fickt.« Außer wenn der Führer sich nach Sirte oder in eine andere Stadt begibt und der ganze Tross ihm folgen muss. Oder wenn er ins Ausland reist, wohin Libya zu ihrem Bedauern nie mitgenommen wird. »Er befürchtete, ich könnte es zur Flucht nutzen.« Einige haben es versucht, sie wurden in der Türkei geschnappt und mit geschorenem Kopf nach Libyen zurückgeführt, wo man sie des Verrats anklagte und im Fernsehen als Bordellprostituierte präsentierte, bevor man sie hinrichtete. Im Hause kennt man das tägliche Hin und Her jener Mädchen, die für eine Nacht kommen und wieder gehen, manche freiwillig, andere unter Zwang. »Gaddafi hetzte uns alle auf, ihm unsere Schwestern, unsere Cousinen, gegebenenfalls sogar unsere Töchter zuzuführen.«
Einmal, im Jahr 1994, kann Libya sich nicht enthalten, eine Mutter davor zu warnen, dass Gaddafi ein Auge auf ihre beiden bildschönen
Weitere Kostenlose Bücher