Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Düpierten. Die Libyer hatten trotz aller Propaganda nie große Sympathie für die Frauen in der Armee empfunden, und seit der Revolution von 2011 brachten sie ihre Abneigung gegen sie auch sehr deutlich zum Ausdruck. Es war also nicht einfach für diese unglücklichen Überlebenden der Ära Gaddafi. Sie hatten keinerlei Verlangen, sich zu exponieren. Gleichzeitig aber wehrte Fatima sich dagegen, dass Frauen für immer von der Armee ausgeschlossen sein sollten und man den Machtmissbrauch und die Gaunerei des Führers dazu benutzte, sie zu diskreditieren. Das war ebenso ungerecht wie unverschämt.
Sie war eine imposante Erscheinung: Um die fünfzig, in einen weiten roten Mantel gehüllt, einen schwarzen Schleier um das etwas pausbäckige Gesicht – so kam Fatima schließlich doch eines Abends in mein Hotelzimmer in Tripolis,wenn auch ein bisschen nervös. Der Ort erschien ihr diskret und neutral. Nach der Zeit der Propaganda, so meinte sie, sei nun doch wohl die Zeit gekommen, die Wahrheit zu sagen.
»Die Anwerber, die Ende der siebziger Jahre in unser Gymnasium kamen, hatten mich durch ihre Argumente einfach überwältigt. Das Bild, das sie von einer militärischen Laufbahn entwarfen, war so grandios, dass ich meine Zukunft nur noch in der Armee sah. Nichts konnte mitreißender sein als auf gleicher Stufe mit den Männern mein Land zu verteidigen. Was für eine umwerfende, ja geradezu revolutionäre Vorstellung! Zumal man uns auch auf das Beispiel der algerischen Revolution verwies, wo junge Frauen wie Djamila Bouhired als Verbindungsoffiziere, Bombenlegerinnen, Kämpferinnen keine Gefahr gescheut hatten, um ihr Volk zu befreien. Das waren Heldinnen für uns! Nun also erhoben die Frauen ihr Haupt. Von einer solchen Laufbahn träumte ich.« Seit kurzem wurde dem militärischen Unterricht in den Schulen große Bedeutung beigemessen. Körperliches Training, Umgang mit Waffen, Vorträge, Prüfungen ... Fatima war mit großem Eifer dabei, überzeugt, dass sie so zu jenem »Volk in Waffen« gehörte, von dem Gaddafi sprach. Ihre Eltern aber waren entsetzt, dass man von den Schülerinnen verlangte, Männeruniformen anzuziehen. Wie unschicklich das sei! »Die libysche Gesellschaft war dafür noch nicht reif«, sagt sie. »Aber wir jungen Mädchen, wir bissen an. Außerdem war der Militärdienst wieder Pflicht, jeder libysche Bürger musste mehrere Wochen im Jahr zum Training gehen, und wir alle mussten da mitmachen. Jeder Libyer hatte seinen Reservistenausweis.« Ein schwunghafter Handel mit diesen Ausweisen erlaubte vermögenderen Leuten allerdings, sich dem Training zu entziehen, aber das wusste sie damals nicht.
So trat Fatima 1980 als zweiter Jahrgang seit der Gründung in die Militärakademie in Tripolis ein. Sie traf dort Mädchen aus Ägypten, dem Libanon, Algerien, dem Sudan. Die Ausbilder waren im Wesentlichen noch Männer und die Kurse sehr anspruchsvoll: Morsetechnik, Kartographie, Büroarbeit, Militärtaktik, Handhabung von Waffen bis hin zu Manövern, selbst bei Nacht und in Unwetterperioden.
»Aber das war die Sache wert! Wir waren die Attraktion der ganzen Welt. Fernsehteams kamen zu uns von überallher. Wir spürten förmlich, wie uns Flügel wuchsen. Wir waren die Zukunft. Wir waren modern!« Und jede Rede von Gaddafi elektrisierte die jungen Frauen mehr. Er war ihr Idol, und sie zweifelten keinen Augenblick daran, dass er das Leben der Libyerinnen verändern und einige von ihnen eines Tages in den Rang von Generälen erheben werde.
Und dann kam der Tag der feierlichen Übergabe der Diplome, der Vorbeimarsch im tausendmal geübten Paradeschritt. »Ich war zu erschöpft, um mir die Rede des Führers bis zum Schluss anzuhören!« Aber es dauerte nicht mal einen Monat, bis Fatima sämtliche Illusionen verloren hatte. »Wir waren reingelegt worden. Die Versprechungen waren nur Lügen. Gaddafi verachtete seine eigene Armee und erwartete eindeutig nichts von den Frauen. Es sei denn Bilder, die seinen Mythos untermauerten ... und einen Pool von Mätressen.« Fatima wurde als Offizier in einer Bab al-Aziziya nahe gelegenen Schule eingesetzt. Offiziell war sie dort für das tägliche Militärtraining verantwortlich, aber das übernahmen mit ziemlicher Arroganz schon »die Mädchen von der Gaddafi-Clique«. »Ich trug eine Uniform und einen Titel ohne die geringste Befugnis.« Danach wurde sie in die Räume des Armeegeneralstabs versetzt. Ein Chauffeur holte sie jedenMorgen ab, aber sie hatte keinerlei Funktion
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