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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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würde Aisha, die am 21. August gefangen genommen wurde, noch lange auf ihr Urteil warten müssen.
    »Die Lage der weiblichen Militärs unter Gaddafi war traurig und trostlos«, sagte mir die Stellvertretende Ministerin für Soziales, Najwa al-Azraq, die mit diesem Ressort betraut war. Die Militärakademie war für den Führer nur ein Trick, um ihm Zugang zu Frauen zu verschaffen. In dem Maße, wie er dann andere Wege fand, an sie heranzukommen, verlor er das Interesse daran, und mit der Schule ging es bergab.«
    Während des Bürgerkriegs allerdings, als das Regime in Bedrängnis geriet, wurden viele von den Soldatinnen mobilisiert, die bis dahin nahezu vergessen in den Kasernen schmorten. Manche von ihnen wurden direkt an die Front geschickt, zusammen mit Söldnern, unter denen sich ebenfalls Frauen befanden. Andere wurden während der Belagerung von Tripolis über die zahlreichen Checkpoints der Stadt verteilt, um Personen und Fahrzeuge zu kontrollieren, oder auch in die entwürdigende Lage gezwungen, mit Trillerpfeife im Mund die langen Warteschlangen an den Tankstellen zu beaufsichtigen. Marionetten von Gaddafi. Symbole seines Regimes. Gehasst von der Bevölkerung wie von den Aufständischen. Einige desertierten auch, sie haben, wenn sie geschnappt oder denunziert wurden, ihr Überlaufen zur Revolution mit ihrem Leben oder der Vergewaltigung bezahlt. Und wieder andere wurden gruppenweise in frontnahe Abschnitte gebracht, um die »Wünsche« von Bataillonsmitgliedern zu »befriedigen«.Das Schicksal der meisten Leibwächterinnen von Gaddafi wird wohl im Dunkeln bleiben. Leichen, die in den Ruinen von Bab al-Aziziya gefunden wurden, lassen vermuten, dass mehrere von ihnen im August, in den allerletzten Stunden des Regimes, noch liquidiert wurden. Im Moment des Zusammenbruchs und der verzweifelten Flucht des Diktators waren sie nutzlos geworden.

4
Beutejäger
    Dr. Faisal Krekshi hätte sich nie vorstellen können, was er in einer Augustnacht des Jahres 2011 nach erbitterten Kämpfen auf dem Campus entdeckte, als er mit einer Handvoll Rebellen die Kontrolle über die Universität Tripolis ergriff. Der in Italien und am Royal College in London ausgebildete Hochschullehrer und Gynäkologe, fünfundfünfzig Jahre alt, ist ein ruhiger, besonnener Mensch, und die Korruptheit der universitären Strukturen, das Netz der Bespitzelung und Denunziation, das die Revolutionskomitees hier aufgebaut hatten, das gewaltige Propagandainstrument, das die einzelnen Fakultäten darstellten, waren ihm keineswegs unbekannt. Er wusste auch, wie lebendig in der Bevölkerung noch immer die Erinnerung an die öffentlichen Hinrichtungen von Studenten in den Jahren 1977 und 1984 war. Und dass keine Universitätskarriere ohne den Beweis absoluter Loyalität gegenüber dem Regime denkbar war. Er war also nicht verwundert, als er am Ende dieser Nacht ein in Seecontainern verborgenes Gefängnis entdeckte, ein Büro des gefürchteten Geheimdienstchefs Abdullah as-Sanusi sowie Schubladen voller Informationen über Dutzende von Studenten und Professoren,einschließlich einer Liste von zu exekutierenden Personen. Doch was er zufällig entdeckte, als er einige entlegene Winkel der Universität auf der Suche nach Heckenschützen durchforschte und die Tür eines geheimen Apartments aufbrach, das sich unter dem »Grünen Auditorium« befand, in dem Muammar al-Gaddafi gern seine Reden hielt, ging über seine schlimmsten Vermutungen hinaus.
    Ein Vestibül öffnete sich auf einen geräumigen Empfangssalon, möbliert mit braunen Ledersesseln. Von dort führte ein Korridor in ein fensterloses Schlafzimmer mit Holztäfelung. Ein großes Doppelbett stand hier bereit, bezogen mit einer Steppdecke und umrandet von billigen Blümchenteppichen, zu beiden Seiten ein kleiner Nachttisch mit einem Lämpchen, das gedämpftes orangefarbenes Licht verbreitete. Ein angrenzendes großes Bad war ausgestattet mit Dusche, WC, Bidet und einem Whirlpool mit vergoldeten Wasserhähnen. Eine befremdliche Einrichtung in einem Gebäude, das dem Studium und der Lehre des Grünen Buches vorbehalten war, eher schon eine Junggesellenwohnung. Doch erst der folgende Raum machte alle betroffen, die ihn sahen, und ließ auch mich erstarren, als ich ihn besichtigte. Gegenüber dem Zimmer öffnete sich eine Tür zu einem komplett ausgestatteten gynäkologischen Untersuchungsraum: Untersuchungsstuhl mit Beinstützen, OP-Leuchte, Röntgenmaterial, Instrumente, in Folien eingeschweißte

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