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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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westlichen Ländern Gaddafis Vorliebe für seine weibliche Garde häufig interpretiert. Welch eine Ironie!
    Und schließlich schmeichelte seine Amazonen-Eskorte auch seinem Ruf als Verführer und nährte alle denkbaren Phantasievorstellungen und Vermutungen. Das Klischee vom morgenländischen Harem – freilich das Gegenmodell zur feministischen These – war dabei nie sehr weit entfernt und wurde auch befördert durch die Abwesenheit seiner offiziellen Ehefrau Safia Farkash von der öffentlichen Bühne, die er (nach einer Blitzscheidung) 1971 geheiratet hatte und die die Mutter von sieben seiner Kinder war. Alle diese jungen Frauen in seinem Dienst, die ihm restlos ergeben waren und bereit, mutig ihr Leben für ihn zu opfern ... Diese Botschaft war, sagen wir, zumindest etwas verwirrend.
    Doch wer waren sie wirklich, diese Mädchen in Uniform, die Gaddafi wie ein Banner mit sich führte? Soraya hatte für alle euphorischen Beschreibungen dieser angeblich in sämtlichen Kampftechniken erprobten Truppe nur scharfe Kritik übrig.War sie nicht bereits kurz nach ihrer Entführung selber in die Uniform gesteckt worden? Hatte man sie nicht ohne weiteres diesem vermeintlichen Elitekorps zugeordnet und ihr befohlen, bei öffentlichen Auftritten und Reisen des Führers die anderen Leibwächterinnen einfach zu imitieren und eine strenge, argwöhnische Miene aufzusetzen, als hinge von ihr das Leben des Meisters ab?
    »Was für ein Witz!«, sagte Soraya und rollte mit den Augen. Was für eine Anmaßung! Wer die Gelegenheit hatte, jene Handvoll »Amazonen« zu beobachten, die den Oberst bei seinem Parisbesuch im Dezember 2007 begleiteten, konnte durchaus den Eindruck eines Täuschungsmanövers haben: Sie saßen auf dem Deck eines Seine-Ausflugsschiffs und fotografierten sich gegenseitig, kichernd wie Schulmädchen, bevor sie zum Shoppen in die Läden der Rue du Faubourg Saint-Honoré und der Champs-Élysées aufbrachen. Nein, diese jungen Mädchen waren nicht an der Militärakademie ausgebildet worden. Ja, sie waren sehr wohl die Mätressen und Sexobjekte von Gaddafi, seine Favoritinnen oder kleinen Sklavinnen. »Ihr Schauspiel widerte mich an!«, sagte mir Said Gaddaf Addam später, ein Cousin des Führers und hochrangiger Militär, den ich im Gefängnis von Misrata aufsuchte.
    *
    Die Recherche in Tripolis erwies sich als schwierig. Niemand wollte mehr von den berühmten Leibwächterinnen reden hören. Sie waren mit dem Führer verschwunden. Davongeflogen! Und die Erinnerung an sie löste nur Verlegenheit und Verachtung aus. Angefangen beim libyschen Verteidigungsministerium, an dessen Eingang man nicht umhinkommt, auf einen Teppich mit dem eingewebten Bild Gaddafis zu treten.
    »Ihre Existenz hat das Image der libyschen Armee schwer beschädigt«, sagte mir Ussama al-Juili, der nach dem Tod des Führers ernannte Minister, Exkommandant der Rebellentruppen in der Stadt Az-Zintan. »Sie waren eine Schande! Und eine Ohrfeige für wahre Militärs, jene, die eine hohe Vorstellung von ihrem Beruf und der Verteidigung ihres Landes hatten. Gaddafi schob sie immer in den Vordergrund, um selber im Scheinwerferlicht zu stehen und mit ihnen sein Bild zu veredeln, aber es war pure Heuchelei. In der gleichen Zeit zerstörte er seine eigene Armee. Es war entsetzlich! Ich war junger Hauptmann und habe die Armee allmählich so gehasst, dass ich, sobald es möglich war, meine Demission eingereicht habe. Wo waren wir bloß hingekommen? Wie sollte man diese Frauen ernst nehmen, mit denen er sich da dekorierte? Wer konnte sich auch nur eine Sekunde lang vorstellen, dass er ihnen tatsächlich seinen Schutz überließ? Ich bitte Sie! Sie waren nur Show, Unterhaltung und, wie soll ich sagen, Freizeitbeschäftigung. Das war widerlich.«
    Gleiche Reaktion bei Ramadan Ali Zarmuh, dem Vorsitzenden des Militärrats von Misrata, der drittgrößten Stadt des Landes und sicher einer der vom Krieg am schwersten betroffenen. Auch er hatte, obwohl bereits Oberst, sehr früh seinen Abschied von der Armee genommen. Und auch er äußerte sich verächtlich über den »Mummenschanz« und das »theatralische Gehabe« nicht nur der Leibwächterinnen, sondern aller Soldatinnen. »Arme Dinger, sage ich Ihnen! Sie kreuzten in unseren Reihen auf, benebelt von den Reden dieses Dreckskerls, der sie nach Belieben manipulierte, um der Welt Sand in die Augen zu streuen und seine persönlichen Gelüste zu befriedigen! Sie waren schlecht ausgebildet, kaum trainiert, und oft

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