Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Gewänder, seine Rockstar-Sonnenbrillen, seine schwarze Zottelmähne und sein botoxgespritztes und ständig geschminktes Gesicht eines Koksers. Diese Amazonen begleiteten ihn überallhin, in die verschiedensten Uniformen gekleidet, manche unter ihnen waren bewaffnet, andere nicht; sie trugen das Haar offenauf die Schulter fallend oder hochgesteckt unter einer Baskenmütze, einem Käppi, einer Schirmmütze, einem Turban; meist waren sie geschminkt und trugen Ohrringe und Anhänger mit dem Bildnis des Führers; an den Füßen trugen sie Ranger-Stiefel, Stiefeletten mit Absatz, ganz selten auch Pumps.
Sie waren sein Banner und verschafften ihm Geltung, sie zogen die Blicke der Pressefotografen auf sich, faszinierten Staatsoberhäupter und Minister, die ihn an der Gangway begrüßen kamen oder in Bab al-Aziziya von ihm zu einer Audienz empfangen wurden. Der ehemalige französische Außenminister Roland Dumas war seinerzeit hocherfreut, von diesen »bildhübschen Mädchen in Waffen« eskortiert zu werden, und auch das hintersinnige Lächeln Silvio Berlusconis verriet einiges über seine persönliche Befriedigung. Aber Gaddafis Botschaft war durchaus mehrdeutig.
Sicher, zum einen waren die Amazonen Ausdruck seiner Originalitätssucht auf dem internationalen Parkett. Als Megalomane und Provokateur maß der Oberst seinem Image und der Inszenierung seiner Auftritte und Reden große Bedeutung bei. Er wollte etwas Besonderes, Einzigartiges sein, duldete keine Konkurrenz und keinen Vergleich, sorgte dafür, dass die Öffentlichkeit mit Libyen keinen anderen Namen als seinen verband (kein einziger libyscher Schriftsteller, Musiker, Sportler, Geschäftsmann, Ökonom oder Politiker hat sich unter seiner Herrschaft je profilieren können, Fußballspieler durften sogar nur mit der Nummer auf ihrem Trikot erwähnt werden). Und der Gedanke, der Welt vorzuführen, dass er der einzige Staatschef war, der eine ausschließlich weibliche Garde besaß, befriedigte diesen Ehrgeiz.
Doch er schien sich mit seiner weiblichen Leibgarde auchals der große Befreier der Frauen stilisieren zu wollen. Wie viele Symposien hat er zu diesem Thema veranstaltet, wie viele pathetische Reden gehalten! In wie vielen Predigten dem Westen und der gesamten arabischen Welt unter die Nase gerieben: Oberst Gaddafi war »der Freund aller Frauen«. Kein Auftritt in den Landesregionen, keine Reise ins Ausland ohne Begegnungen mit Frauenorganisationen, bei denen diese Botschaft der Öffentlichkeit immer wieder eingehämmert wurde. Schon im dritten Kapitel seines berühmten Grünen Buches hatte er seine Vorstellung von der Frau entwickelt (Gleichheit der Geschlechter, keine Diskriminierungen, Recht auf Arbeit für alle, unter der Voraussetzung, dass die »Weiblichkeit« der Frau respektiert wird ...), doch sein Programm wurde bald radikaler, bis er schließlich 1979 eine Militärakademie für Frauen gründete und zwei Jahre später, als er dem Land deren erste Absolventinnen präsentierte, eine flammende, triumphale Rede hielt. Diese in der Welt einzigartige Hochschule sollte der Stolz Libyens werden, so verkündete er. Die Kühnheit der jungen Libyerinnen, die sich hier massenhaft einschrieben, war der schlagende Beweis für den Umbruch, der im Denken stattgefunden hatte. Nur weiter so!
Und an jenem 1. September 1981 richtete er diesen unglaublichen Appell an die Welt: »Man versucht, die Männer und die Frauen der arabischen Nationen zu unterwerfen. Aber innerhalb des arabischen Volkes werden die Frauen in Wirklichkeit von den Kräften der Unterdrückung, dem Feudalismus und dem Profitstreben beherrscht. Wir rufen zu einer Revolution für die Befreiung der Frauen des arabischen Volkes auf, und das ist eine Bombe, die die gesamte arabische Welt erschüttern und die Gefangenen in den Palästen und die auf Märkten Gehandelten ermutigen wird, sich gegen ihreKerkermeister, ihre Ausbeuter und Unterdrücker zu erheben. Unser Appell wird mit Sicherheit ein nachhaltiges Echo finden und Auswirkungen in der gesamten arabischen Nation wie in der Welt haben. Heute ist kein gewöhnlicher Tag, sondern der Anfang vom Ende des Zeitalters des Harems und der Sklaven und der Beginn der Befreiung der Frauen des arabischen Volkes.«
Die jungen Frauen in Waffen erschienen somit als das schönste Aushängeschild der Revolution. Ihnen seine persönliche Sicherheit anzuvertrauen war folglich mehr als symbolisch. Gleichsam ein ... feministischer Glaubensakt. So jedenfalls wurde in den
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