Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
besaßen sie nicht mal die Einwilligung ihrerEltern. Wie hätten die auch guten Gewissens akzeptieren können, dass ihre Töchter in diese Männerwelt geworfen würden? In Libyen! Welche Schmach! Wir betrachteten sie als Opfer, während er herumschwadronierte, umgeben von Konkubinen und Marionetten, die nie in der Lage gewesen wären, ihn zu verteidigen, wenn nicht zwangsläufig Männer hinter ihnen gestanden hätten.«
Ein radikales Urteil, und es wurde von allen Militärpersonen und Rebellen geteilt, die ich habe befragen können. Macho-Gehabe? Sicher auch zu einem Teil, die Aufnahme von Frauen in die Armee ist weder von der Militärhierarchie noch von der traditionellen libyschen Gesellschaft jemals wirklich akzeptiert worden. Wobei gesagt werden muss, dass Oberst Gaddafi auch zu viele Etappen übersprungen hatte in einem Land, wo die Frauen in erster Linie Ehefrauen und Mütter waren und oft strikt auf das Haus beschränkt. Seit 1975 hatte er sein Konzept eines »Volkes in Waffen« entwickelt und die Idee verfochten, dass Waffen nicht mehr das Monopol einer klassischen Armee sein würden, die ohnehin bestimmt wäre zu verschwinden, sondern allen Bürgern und Bürgerinnen in die Hand gegeben werden sollten, die darum schnellstens in ihrem Gebrauch zu unterweisen wären. 1978 erließ er ein Gesetz über die obligatorische militärische Ausbildung aller Bürger, namentlich der Jungen und Mädchen an den höheren Schulen. Was eine kleine Revolution bedeutete, da Letztere sich zum Erstaunen ihrer Eltern nun in Drillichzeug zu kleiden hatten und von männlichem Lehrpersonal unterrichtet wurden. »Eine von einer Frau getragene Kampfkleidung«, erklärte der Führer eines Tages, »ist mehr wert als ein Seidengewand, das von einer unwissenden, einfältigen, oberflächlichen Spießbürgerin getragen wird, die die Herausforderungen nichtmal ahnt, mit denen sie selbst konfrontiert ist und folglich auch ihre Kinder.« 1979 gründete er die Militärakademie für Frauen und schickte Scharen von besonders hartnäckigen Anwerbern in die Mädchenschulen. Es musste schnell gehen. Von ihren Fesseln befreite junge Frauen in Waffen würden seine beste Propaganda sein. Drei Monate Ausbildung für Soldatinnen, die nach dem dritten Oberschuljahr rekrutiert wurden; zwei Jahre für Frauen, die den Offiziersgrad erwerben sollten und nach dem Abitur ausgewählt wurden. 1981 schließlich kam er auf die Idee, eine Bewegung »revolutionärer Nonnen« ins Leben zu rufen, die allen Frauen offenstehen würde, aus zivilen wie aus militärischen Kreisen: »die Elite der Eliten«.
Um hier aufgenommen zu werden, musste man bereit sein, auf eine Heirat zu verzichten und sein Leben, sein ganzes Leben ausschließlich der Verteidigung der revolutionären Ziele zu widmen, mit anderen Worten, sich vollkommen dem Führer zu verschreiben. Die größte seiner Visionen. Unter Berufung auf die christlichen Ordensschwestern, »die sich in Weiß kleiden, die Symbolfarbe der Reinheit, und sich gänzlich in den Dienst Jesu Christi stellen«, gab sich Muammar Gaddafi in einer Rede, die er am 13. Februar 1981 vor Pionierinnen revolutionärer Frauenbewegungen hielt, bewusst provokatorisch: »Warum werden Christinnen Nonnen, und ihr, ihr bleibt schön sitzen und schaut zu? Wären die christlichen Nonnen größer als die arabischen Frauen?« Und er schloss: »Es ist ihre Selbstverleugnung, die die revolutionäre Nonne heiligt, sie über gewöhnliche Individuen erhebt und damit den Engeln näher rückt.«
Ich habe keine »Revolutionären Nonnen« getroffen. Schon zu Gaddafis Zeiten waren sie in der Gesellschaft aufgegangen,und niemand hat herausgefunden, wie viele es wirklich waren. Müßig zu sagen, dass heute schon gar keine Frau diesen Titel beanspruchen würde. Aber ich habe zwei weibliche Oberste kennengelernt, die beide sehr jung dem Aufruf des Führers gefolgt und mit Begeisterung zur Armee gegangen waren. Die eine sagt, sie habe, sehr bald enttäuscht, von ganzem Herzen die Absetzung Gaddafis herbeigesehnt und erst seit seinem Tod wieder Geschmack an ihrem Beruf gefunden. Die andere, die heute im Gefängnis sitzt und auf ihre Verurteilung für im Bürgerkrieg begangene Mordtaten wartet, schwankt zwischen Nostalgie und Wut.
Ich habe Tage gebraucht, bis ich Oberst Fatima überzeugt hatte zu reden. Sie hatte sich im Prinzip nichts vorzuwerfen. Aber: Sie war nun mal Soldatin, sie hatte an die Botschaft des Führers geglaubt, sie gehörte zu den von der Geschichte
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