Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
vornherein klarzustellen: Sie war Soldatin von Beruf – »und aus Berufung!« –, hatte aber nie zur Gaddafi-»Clique« und ebenso wenig zu seiner Leibgarde gehört. Nachdem dieser Punkt geklärt war, konnte sie auch über die Begeisterung reden, die sie schon als ganz junges Mädchen für die Armee empfunden hatte, über die entscheidende Begegnung mit Rekrutierern, die in ihre Schule in Sabha gekommen waren, eine Stadt in der Sahara und Herrschaftsgebiet des al-Gaddafa-Stamms, und schließlich über ihre Aufnahme an der Militärakademie der Frauen Ende Dezember 1983. Wie die meisten von den Studentinnen kam sie aus einer kinderreichen Familie (acht Geschwister) mit geringem Einkommen, diedem Gedanken an eine Tochter in Uniform sehr ablehnend gegenüberstand. »Wir alle mussten Türen einrennen. Aber was für ein Glück! Das Volk in Waffen musste zur Hälfte aus Frauen bestehen, sonst hatte das Konzept keinen Sinn. Endlich vertraute Gaddafi auf die Mädchen und holte sie aus dem Haus raus!«
Parallel dazu schaffte sie es, ihren Abschluss als Krankenschwester zu machen, und als sie 1985 die Akademie verließ, wurde sie in ihren heimatlichen Süden versetzt, um andere Mädchen auszubilden, und dort auch bald befördert. Zwanzig Jahre später kehrte sie nach Tripolis zurück, übernahm die Leitung der Revolutionären Garden, der für den Schutz des Führers zuständigen Organisation, und war nun regelmäßig verantwortlich für die Auswahl ... seiner Leibwächterinnen!
»Und das war eine ganz schöne Verantwortung! Diese Mädchen waren es doch, die der ganzen Welt zeigen sollten, dass die Frau in Libyen bewaffnet und dass sie geachtet war. Sie spielten die Rolle von Botschafterinnen! Ich musste also die Richtigen auswählen!« So entschied sie sich für »aufsehenerregende« Frauen. Das heißt? »Sie mussten Charisma haben.« Und hübsch sein? »Das war nicht die Frage. Ich wollte, dass sie Ausstrahlung hatten, etwas Achtunggebietendes besaßen. Und ich nahm gern große Mädchen, oder aber ich verpflichtete sie, Absatzschuhe zu tragen.« Alle Mädchen träumten von dieser Karriere und flehten Aisha an, ihnen zu erlauben, auch eines Tages im Licht zu stehen. »Das konnte ihr Leben vollkommen verändern, vor allem wenn sie keine Berufssoldatinnen waren. Sie begleiteten den Führer auf Reisen, erhielten beachtliche Geldzuwendungen. Und, glauben Sie mir, wenn sie erst mal da angekommen waren, setzten sie alles daran, sich ihrer Rolle würdig zu erweisen. Make-up, tadellosesAuftreten ... Schließlich wussten sie, dass sämtliche Kameras auf sie gerichtet waren.«
Über Gaddafis Verhalten gegenüber seinen Leibwächterinnen wollte Aisha nicht reden. Top secret. Sie tat ihre Arbeit und suchte schöne Mädchen aus. Was danach mit ihnen geschah, ging sie nichts an. Ich hakte nach. War es nicht allgemein bekannt, dass der Führer sie ziemlich bald zu seinen Mätressen machte? Aber Aisha blieb stumm, ihr Gesicht verschloss sich auf einmal. Sie weigerte sich auch, Mabruka zu erwähnen, die einzige Person hinter Gaddafi, die keine Uniform trug, von der aber jeder wusste, welche elementare Rolle sie bei der Organisation seines weiblichen Umfeldes spielte.
»Ich will damit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Mein schäbiges Gehalt – 832 Dinar im Monat [ungefähr 500 Euro] – beweist wohl, dass ich nichts mit seinem Klüngel und dem Handel mit den Mädchen der Leibgarde zu tun hatte!« In einer seltsamen Anwandlung zog sie sich plötzlich einen kleinen Ring von ihrem Ohr und reichte ihn mir: »Sehen Sie? Nicht mal echt! Viele der Leibwächterinnen haben sich eine goldene Nase verdient. Ich dagegen besitze überhaupt nichts!« Nicht mal mehr die Freiheit.
Allein die Ehre bleibe ihr, sagte sie. Der Stolz, das Banner der libyschen Kämpferin immer hochgehalten zu haben. Immer wieder beteuerte sie ihre nie erschütterte Loyalität gegenüber ihrem Chef und seiner Armee während des Krieges. Gewissenhaft war sie seinen Befehlen gefolgt und hatte den Aufstand bekämpft. »Als Berufssoldatin« – wie sie es immer für sich in Anspruch genommen hatte. Nicht der Schatten eines Bedauerns. Der Direktor des Gefängnisses, ein Rebell, der darauf bestand, mir später noch das düstere Mausoleum von Zawiya für die Märtyrer der Revolution zu zeigen, sahdas ziemlich anders. Er beschuldigte sie, gefoltert und Gefangene eigenhändig erschossen zu haben. Während die Mehrzahl der Soldatinnen inzwischen wieder freigelassen worden waren,
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