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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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Führer zu treffen, sie wurde vergewaltigt, eine Woche lang von ihm gefangen gehalten und mit einem Bündel Scheine schließlich entlassen. Ihre Eltern waren zu sehr gedemütigt, um sie wieder aufnehmen zu können. Die Rückkehr an die Universität war ihr unmöglich. Sie war verloren. Heute ist sie offiziell im Autohandel tätig. Doch ich weiß, dass sie in Wahrheit davon lebt, sich zu verkaufen.«
    Nisreen, ein Mädchen mit hellem Teint und langen, gelockten Haaren, sehr eloquent, war darüber nicht erstaunt. In einer bürgerlichen Familie in Libyen aufgewachsen, mit einem europäischen Elternteil, wusste sie, dass es ihr unmöglich gewesen wäre, in der bedrückenden, verlogenen Atmosphäre des Gaddafi-Regimes zu überleben, und dass sie zu ihrer Entfaltung zum Studium nur ins Ausland gehen konnte. »Und dabei waren wir weit entfernt von dem Gedanken an Vergewaltigung«, so erzählte sie mir eines Abends, »obwohl wir alle über das zügellose Leben der Gaddafi-Söhne und ihrer Bande Bescheid wussten. Aber alle Mädchen sahen sich früher oder später mit der sexuellen Korruption konfrontiert. Bab al-Aziziya sandte seine Späherinnen aus, die den Campus durchstreiften, sie trieben sich in den Toiletten herum, wo die Mädchensich in aller Ruhe schminkten, mischten sich in ihre Gespräche ein und machten ihnen sehr bald Angebote, darunter auch finanzielle.« Und da war nicht nur der Schatten von Bab al-Aziziya. In der ganzen Universität herrschte eine Atmosphäre sexueller Erpressung. »Wie viele Mädchen sind durch die Prüfungen gefallen, weil sie die Avancen ihres Professors zurückgewiesen hatten? Wie vielen, die sich über ihre schlechten Noten empörten, wurden sehr intime Privatkurse vorgeschlagen? Ich habe von jungen Mädchen gehört, die sich dem Professor ihres Verlobten anboten, damit er sein Diplom erhielt, die unerlässliche Bedingung für ihre Heirat. Ich habe junge Männer erlebt, die ebendiesen Dienst von ihrer Freundin erbaten, bevor sie sie manchmal sogar sitzen ließen. Sex war Tauschobjekt, Mittel der Beförderung, Machtinstrument. Die Sitten des Führers waren ansteckend, seine Mafia ging auf die gleiche Weise vor. Das System war korrumpiert bis ins Mark.«
    Dr. Krekshi bestätigt es, er war fassungslos über den Filz, der sich ihm da mit der Zeit offenbarte, als er die Leitung der Universität übernahm. Ein perfekt verzweigtes System, mit Ablegern und Spitzeln in allen Fakultäten und Verwaltungsbereichen und koordiniert von einem zentralen Sekretariat, das mit Bab al-Aziziya in Verbindung stand. Mit welchem Ziel? Die hübschesten Studentinnen auszuwählen, die unter irgendeinem Vorwand dem Führer und anschließend seiner Clique zugespielt werden sollten. Gute Noten, Diplome, angesehene Posten, Stipendien, alles war ihnen erreichbar unter der Voraussetzung, dass sie sich entgegenkommend und gefügig zeigten. Die Geschenke konnten natürlich auch über den Rahmen der Ausbildung hinausgehen, dann kameniPhones, iPads, Autos und Schmuck zum Einsatz ... Die gebotenen Summen waren mitunter sehr hoch für die begehrtesten unter den Mädchen, die meistens nicht mal die Ärmsten waren.
    »Es herrscht das Gesetz des Schweigens«, versichert mir der Doktor, »und eine Vergewaltigung wird nie einer bezeugen.« Immerhin erwähnt er eine Reihe von Schicksalen, die die gängigen Praktiken veranschaulichen. So spricht er von einer Studentin, die sich an der Medizinischen Fakultät eingeschrieben hatte, sich aber zu ihrer Überraschung im Studienfach paramedizinische Berufe wiederfand. »Was in Anbetracht ihrer ausgezeichneten Noten völlig unverständlich war. Sie ging zum Generalsekretär der Universität und verlangte eine Erklärung, und er versprach, den Irrtum zu korrigieren, vorausgesetzt, sie ginge nach Camp Regatta, in das Freizeitzentrum am Meer, wo die Funktionäre des Regimes und speziell ihre Söhne sich verlustierten. Ganz Tripolis wusste das. Es war ein rechtsfreier Raum, oder vielmehr einer, in dem alles erlaubt war. Das Mädchen weigerte sich, und zwei Jahre lang erhielt sie bei allen ihren Prüfungen die schlechteste Note. Können Sie sich so einen Druck vorstellen? Ich selbst habe am Ende einen Brief geschrieben, damit sie wieder an der Medizinischen Fakultät aufgenommen würde. Und dem neuen Regime habe ich fünf weitere Berichte von couragierten Mädchen zukommen lassen, die die schändliche Korruption des Systems beweisen.«
    *
    Das versteckte Apartment unter dem »Grünen Auditorium«

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