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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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Gebrauchsanweisungen auf Englisch ... Dr. Krekshi konnte bei aller Zurückhaltung seinen Abscheu nicht verbergen. »Wie sollte man davon nicht schockiert und erschüttert sein?«, sagte der namhafte Spezialist zu mir, der nach der Revolution zum Rektor der Universität ernannt worden war. »Nichts, absolut nichts konnte eine solche Einrichtung an diesem Ort rechtfertigen.Selbst für den geringsten Notfall war das Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde keine hundert Meter weit. Wofür also? Welche illegalen und perversen Praktiken sollten auf diese Weise den Blicken verborgen bleiben? Ich vermute zweierlei: Schwangerschaftsunterbrechungen und Wiederherstellung des Hymens, beides in Libyen verboten. Und ohne das Wort Vergewaltigung aussprechen zu wollen, ich kann nicht umhin, auch an befremdliche sexuelle Praktiken zu denken.«
    Er sprach in ernstem Ton, jedes Wort abwägend im Bewusstsein der Ungeheuerlichkeit seiner Entdeckung. Er selbst gestand mir, dass er der offizielle Frauenarzt der beiden Gaddafi-Töchter Aisha und Hana gewesen war. »Das bringt mich in eine eigenartige Situation«, gab er mit bekümmertem Lächeln zu. »Die Familie Gaddafi achtete meine Kompetenz, und darüber hinaus wollte ich nichts. Zuweilen äußerten die Mädchen mir gegenüber die Verwunderung ihres Vaters. Er verlangt kein Auto? Kein Haus? Nein, ich wollte nichts. Auf keinen Fall!« Er wusste von Gaddafis Hunger auf junge Mädchen. Er hatte von der »magischen Geste«, wie er sie nannte, gehört, der Hand, die Gaddafi seinem Opfer auf den Kopf legte, um es für seine Leibwächter zu kennzeichnen. Und er, der Familienplanung lehrte und jedes Jahr eine Vorlesung zum Thema »Tabu« hielt, gab zu, dass Gaddafis sexuelle Gepflogenheiten das größte aller Tabus waren. Aber niemand hätte gewagt, darüber zu reden, die Studentinnen zu warnen, einen Sicherheitskordon zu ziehen. Man zog es vor, von nichts zu wissen. Und die Opfer seiner Raubzüge konnten nur schweigen und unauffällig die Universität verlassen. Ihre Zahl zu schätzen – derer, die nach Bab al-Aziziya bestellt wurden, und derer, die in diese unter dem Auditorium verborgenePräsidentensuite geholt wurden – war darum unmöglich. Und am Tag seiner makabren Entdeckung, so sagte mir Dr. Krekshi, habe er in dem Apartment »acht oder neun« DVDs mit Videos von Gaddafis hier verübten sexuellen Gewaltakten gefunden. Aber er gestand, sie sofort vernichtet zu haben. Ich war sprachlos. Vernichtet? Waren das nicht Beweisstücke, die es unbedingt aufzubewahren galt? »Versetzen Sie sich mal in die damaligen Umstände. Noch war Krieg. Ich konnte nicht garantieren, dass diese Aufnahmen niemals verantwortungslosen oder gefährlichen Leuten in die Hände fallen würden. Dass sie nicht zu Mitteln des Drucks oder der Erpressung benutzt werden würden. Meine erste Sorge dabei war, die Mädchen zu schützen.« Seltsame Reaktion. Und eine schwere Verantwortung, die er damit auf sich nahm. Wäre es nicht eher Sache der Justiz gewesen, eine solche Entscheidung zu fällen?
    Die Entdeckung, dass Gaddafi mitten in der Universität ein geheimes Apartment besessen hatte, war ein Schock für den Campus gewesen. Die Zungen löste er gleichwohl nicht. Man schmähte den Diktator, trampelte mit Vergnügen auf seinen Plakaten herum, die als Fußabtreter vor den Hörsälen lagen. Doch die verschleierten Studentinnen liefen weiter, wenn ich mehr darüber wissen wollte, und ein junger Mann, der es übernommen hatte, ein paar Kommilitoninnen zu dem Thema zu befragen, schickte mir bald eine SMS: »Ich geb’s auf. Thema ist tabu.« Also wirklich! Es musste doch Zeugen geben, Leute, die verdächtige Vorgänge beobachtet oder von jungen Mädchen gehört hatten, die belästigt worden waren! Sollte es denn niemanden geben, der das System verklagte? Der junge Chefredakteur der Wochenzeitung Libya al-Jadida schien mir als Einziger entschlossen, das Schweigen zu brechen.»Ich hatte eine Freundin, sie stammte aus einer bäuerlichen Familie mit Wurzeln in der Region Aziziya und war zum Medizinstudium nach Tripolis gekommen«, so erzählte er. »Bei einem Besuch in der Universität legte Gaddafi ihr seine Hand auf den Kopf , und schon am nächsten Tag kamen Leibwächterinnen zu ihr nach Hause, um ihr zu verkünden, dass der Führer sie auserwählt habe, in die Revolutionären Garden aufgenommen zu werden. Die Familie lehnte ab, daraufhin wurde ihr Bruder bedroht. Am Ende erklärte sich das Mädchen bereit, den

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