Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
schwöre ich Ihnen, einen Fuß in das Kellergeschoss seiner Residenz gesetzt« – eine schöne Art anzudeuten, dass andiesem Ort alle möglichen Gefahren lauerten. Nachdem ich versprochen hatte, ihn nicht namentlich zu zitieren, fasste er allmählich etwas mehr Vertrauen und erwähnte die Abteilung der »Zuhälter«, die dafür zu sorgen hatten, dass »die sexuellen Bedürfnisse« des Diktators befriedigt wurden. »Erbärmliche, willenlose Lakaien, die vor ihm krochen und sich darum schlugen, seinen Wünschen zuvorzukommen.« Und er brachte die Situation auf den Punkt: Muammar Gaddafi könne man als einen Sexbesessenen beschreiben – »er dachte im Ernst nur daran« –, und diese »krankhafte« Sucht habe ihn dazu gebracht, alles nur unter dem Aspekt des Sex zu betrachten. »Er herrschte, demütigte, unterdrückte und strafte mit Sex.«
Dabei hatte er es auf zwei Arten von Beuteopfern abgesehen. Die Nobodys, am liebsten jung, aus den unteren Volksschichten mussten für seinen alltäglichen Verzehr herhalten. Sie stellten keine besondere Herausforderung dar, dafür griff er auf seine »Spezialeinheit« zurück, die der Protokollabteilung nahestand und in den letzten Jahren von der schrecklichen und in Sorayas Bericht vielzitierten Mabruka al-Sharif geführt wurde. Er nahm sich diese Mädchen, meistens mit Gewalt – nur wenige, besonders indoktrinierte behaupteten, sie fühlten sich geschmeichelt, vom Führer »geöffnet« worden zu sein –, und belohnte diejenigen großzügig, mit denen er zufrieden war, die bereitwillig wiederkamen oder ihm sogar neue Mädchen zuführten.
Und dann gab es die anderen. Die, die er unbedingt haben wollte. Deren Eroberung und Beherrschung eine persönliche Herausforderung für ihn bedeuteten. Die für ihn den Reiz ganz besonderer Trophäen hatten. Um diese Frauen zu kriegen, zeigte er sich geduldig, legte strategisches Geschick anden Tag und setzte enorme Geldmittel ein. Zu dieser Sorte Beuteopfer gehörten natürlich die Stars. Sängerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Fernsehjournalistinnen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Er war imstande, ein Flugzeug ans andere Ende der Welt zu schicken, das sie abholen sollte, und sie mit Geld und Schmuck zu überhäufen, noch bevor sie zu ihm kamen. Sie nährten seinen Narzissmus – »ich kann sie alle haben« –, aber waren doch nicht das, was ihn am meisten interessierte.
Das höchste der Gefühle bestand für ihn darin, für eine Stunde, eine Nacht oder mehrere Wochen die Töchter oder Ehefrauen mächtiger Männer zu besitzen – oder die seiner Gegner. Es ging ihm nicht so sehr darum, die jeweilige Frau zu verführen, sondern durch sie den Mann, der dafür verantwortlich war, zu demütigen – »es gibt keine schlimmere Beleidigung in Libyen« –, ihn mit Füßen zu treten, ihn zu vernichten oder, falls das Geheimnis nie öffentlich werden sollte, Einfluss auf ihn zu nehmen, seine Macht über ihn auszukosten und ihn zu beherrschen, zumindest psychologisch gesehen.
»Er wurde als Beduinensohn in einem Zelt geboren und musste während seiner ganzen Jugend Armut und Verachtung hinnehmen, dieser Mann war getrieben von Rachedurst«, analysierte der ehemalige Mitarbeiter. »Er konnte die Reichen nicht ausstehen und hat sich bemüht, sie ärmer zu machen. Er hasste die Aristokraten und diejenigen, die aus gutem Hause kamen, also alle, die besaßen, was er niemals haben würde: Bildung, Ansehen und Manieren. Und er schwor sich, sie zu demütigen. Das lief zwangsläufig über den Sex.« Er konnte Minister, Diplomaten, hohe Militärs zu sexuellen Beziehungen mit ihm nötigen. »Sie hatten keine Wahl, eine Verweigerung hätte die Todesstrafe für sie bedeutet,und der Akt, mit dem er seine totale Macht demonstrierte, war so beschämend, dass keiner von ihnen sich je darüber beklagen oder einen Vorteil daraus ziehen konnte.« Er forderte mitunter von ihnen, dass sie ihm ihre Gattinnen auslieferten. Andernfalls lockte er die Frauen in eine Falle, lud sie während der Abwesenheit ihrer Männer zu sich ein, stattete ihnen persönlich einen Besuch ab und löste damit, wie man sich vorstellen kann, Verwirrung und Panik bei ihnen aus. »Aber um an ihre Töchter heranzukommen, hat er sich selbst übertroffen. Das war eine Aufgabe, die ihm einen langen Atem abforderte: Es brauchte Zeit, Fotos und Erkundigungen über sie zusammenzutragen; herauszufinden, was ihnen gefiel, was sie machten, wohin sie ausgingen; sich ihnen anzunähern, sie zu
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