Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Experten, Besuche verschiedener Einrichtungen. Und dann, am Tag X, flog uns die sorgfältig ausgearbeitete Agenda um die Ohren: Ein Wagen aus Bab al-Aziziya holte die Dame für eine ›private Unterredung‹ mit dem Führer ab. Eine Unterredung! Das ergab überhaupt keinen Sinn. Aber ich habe schnell begriffen. Vergessen wir die Schule. Am nächsten Tag erhielt die Frau einen Koffer mit Banknoten im Wert von 500 000 Dollar und Gold- oder Diamantenschmuck.«
Im November 2010 fand der dritte Afrika-EU-Gipfel in Tripolis statt. Einige Angestellte der Protokollabteilung waren damit beauftragt, den Empfang der Ehefrauen der Staatschefs vorzubereiten und verschiedene Veranstaltungen zu organisieren, die Anklang bei den Damen finden sollten. Man legte zu jeder von ihnen eine kleine Akte mit Foto und Lebenslauf an, und für alle Unternehmungen war ihnen eine weibliche Begleitung zugeordnet. Am Tag ihrer Ankunft wurde Mabruka al-Sharif im Büro des Flughafenchefs vorstellig, wo sich die Akten befanden. Sie besah sich die Fotos der First Ladys eingehend, und an einem blieb ihr Blick schließlich hängen, es zeigte eine sehr gutaussehende Frau mit aufsehenerregender Mähne. »Machen Sie mir eine Kopie davon. Für den Führer.«
Der erste Tag verlief wie vom Protokoll vorgesehen, die Delegationen richteten sich am Abend in ihrer Unterkunft ein. Am nächsten Tag rief Mabruka in der Protokollabteilung an: »Begleiten Sie mich zur Übergabe der Geschenke.« Ein Wagen fuhr also alle Hotels und Luxusappartements ab, in denen die Staatsgäste untergebracht waren. Und die Angestellteder Protokollabteilung verfolgte, ebenso erstaunt wie manche First Lady, wie opulent die Geschenke ausgefallen waren. »Ich dachte, ich hätte schon viel gesehen, aber das ... Ich traute meinen Augen nicht! Da wurden glitzernde und funkelnde Colliers verteilt!« Mabruka gab sich geheimnisvoll: »Wenn du erst siehst, was wir für die Frau auf dem Foto ausgesucht haben ...« Und tatsächlich. Als sie jener Frau, der Gattin eines afrikanischen Staatsoberhaupts und bekannt für ihren Hang zum Luxus und ihre unglaubliche Koketterie, die ihr zugedachte Schatulle überreichte, bekamen alle große Augen: ein Diamantenschmuck, der einem den Atem raubte. »Ich hätte nicht geglaubt, dass es so etwas gibt. Es war ... wie ein Collier aus einem Science-fiction-Film.« Mabruka bemerkte beiläufig: »Der Führer möchte Sie gern sehen.« Die Dame nickte.
Am Abend fand ein offizielles Bankett im Hotel Rixos statt, einem Fünf-Sterne-Palast in Tripolis. Gaddafi thronte in der Mitte einer u-förmigen Tischanordnung, umgeben von den verschiedenen Staatschefs. An drei separaten Tischen waren die Frauen versammelt. Wie durch einen Zufall saß Mabruka neben der prunkvollen Gattin des afrikanischen Regenten. Als die Tafel später aufgehoben wurde und alle aufstanden, nahm Mabruka die First Lady an die Hand und richtete es so ein, dass sie gleich hinter dem Führer herliefen, der natürlich stehen blieb, die Dame begrüßte und sie mit tausend Komplimenten überschüttete. Um zwei Uhr morgens rief Mabruka die Angestellte der Protokollabteilung an: »Wann ist der Rückflug dieser Frau?«
»Um 10 Uhr.«
»Ich schicke dir einen Wagen. Sorg dafür, dass er um 9 Uhr in Bab al-Aziziya ist.«
»Das geht nicht. Ich muss die Abfahrt aller Delegationsmitglieder morgen früh organisieren, ich habe wirklich andere Dinge zu tun!«
»Gut, dann kümmere ich mich selbst darum. Aber sieh zu, dass das Flugzeug später abfliegt.«
Um 10 Uhr wartete der Ehemann in der Abflughalle auf seine Frau. Um 11 Uhr war sie immer noch nicht da. Auch nicht um 12. Die Mitarbeiter der Protokollabteilung und die Delegationsmitglieder waren sichtlich verlegen. Um 13 Uhr 30 schließlich tauchte die Gattin auf, völlig ungeniert und strahlend, der Reißverschluss an der Seite ihres enganliegenden Kostüms war hinüber.
Ein anderes Mal hatte Safia, die Ehefrau des Diktators, zu einem feierlichen Diner unter First Ladys eingeladen, das in einem luxuriösen Drehrestaurant in der 26. Etage des Al-Fatah-Turms von Tripolis stattfinden sollte. Als der Festschmaus gegen Mitternacht beendet war, setzte sich eine Fahrzeugkolonne vor dem modernen Gebäudekomplex an der Küste der Hauptstadt in Bewegung, um die Damen zu ihren Hotels zu fahren. Ein Wagen löste sich jedoch plötzlich aus dem Konvoi. Der Fahrer hatte den Befehl bekommen, so diskret wie möglich Richtung Bab al-Aziziya abzubiegen. Allerdings war im Hotel
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