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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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davon, was wir durchlitten haben. Es geht nicht um Rache, nicht mal um Bestrafung. Eher um eine Katharsis.« Es würde kompliziert werden, natürlich. Er leugnete es nicht. Es fehlte an den nötigen Mitteln und Strukturen, an der Koordination. Der Regierung war die genaue Anzahl von Gefängnissen nicht bekannt, viele befanden sich in derHand bewaffneter Milizen, und das Justizsystem war weit davon entfernt, stabil zu sein. Aber man musste Transparenz fordern, kein Verbrechen durfte im Dunkeln bleiben.
    Es wurde sehr spät, er musste gehen. Als ich das Wort »Sklave« im Zusammenhang mit Soraya erwähnte, reagierte er hitzig.
    »Gaddafi hat uns alle wie Sklaven behandelt! Er hat all sein früheres Leid über sein Volk gespien und damit unsere Kultur zerstört, unsere Geschichte bezwungen und Tripolis die Öde der Wüste auferlegt. Gewisse Leute aus dem Westen waren ganz hingerissen von seiner angeblichen Kultiviertheit, dabei verachtete er Wissen und Bildung. Er wollte unbedingt der Mittelpunkt der Welt sein! Ja, er hat die libysche Gesellschaft verdorben, indem er sie gleichzeitig zum Opfer und zum Komplizen machte und seine Minister in Marionetten und Zombies verwandelte. Ja, Sex war in Libyen ein Machtinstrument: ›Entweder du machst dich ganz klein und gehorchst mir, oder ich vergewaltige dich, deine Frau, deine Kinder.‹ Und er zögerte nicht, seinen Worten Taten folgen zu lassen, womit er alle zum Stillschweigen verurteilte. Die Vergewaltigung diente ihm erst als politische Waffe, dann nutzte er sie als Kriegswaffe.«
    Wie sehr Mohammed al-Alagi aus dem Rahmen fiel im Vergleich zu den Politikern, die ich bisher getroffen hatte! Er hatte auch keine Angst, zitiert zu werden – im Gegensatz zu den meisten meiner anderen Gesprächspartner. Wir betraten nun also das verminte Gelände der von Gaddafis Truppen während der Revolution begangenen Vergewaltigungen. Sie hatten tausendfach stattgefunden. In allen Städten, die von den Milizen und Söldnern des Diktators besetzt waren, und ebenso in den Gefängnissen. Kollektive Vergewaltigungen,die von alkoholisierten, unter Drogen stehenden Männern verübt und per Handy gefilmt wurden. Der Internationale Strafgerichtshof, der im Juni 2011 einen Haftbefehl gegen den Diktator erließ, hatte schon sehr früh diese Politik der systematischen Vergewaltigung angeprangert, doch es erwies sich als schwierig, die entsprechenden Beweise zusammenzutragen, die Opfer blieben unauffindbar. Die Frauen schwiegen. Ärzte, Psychologen, Rechtsanwälte, Frauenorganisationen, die ihnen helfen wollten, hatten große Mühe, an sie heranzukommen. Sie zogen sich zurück, verschanzten sich hinter ihrer Scham und ihrem Schmerz. Einige waren aus eigenen Stücken geflohen, andere von ihren Familien verjagt worden. Wieder andere waren inzwischen mit Rebellen verheiratet, die sich freiwillig zur Ehrenrettung dieser »Kriegsopfer« gemeldet hatten. Einige wenige, so sagte man mir, waren von ihren sich in ihrer Ehre verletzt fühlenden Brüdern getötet worden. Und schließlich gab es noch die, die im Laufe der Wintermonate 2011/2012 unter größter Verschwiegenheit und in einem Zustand unsagbarer Not und Verzweiflung Kinder zur Welt gebracht hatten.
    Dank eines Netzwerkes von aufopfernden, kompetenten und überaus diskret vorgehenden Frauen wurde es mir ermöglicht, ein paar der schwer traumatisierten Opfer zu treffen und im Krankenhaus Adoptionen von Babys beizuwohnen, die aus jenen Vergewaltigungen hervorgegangen waren. Ich erlebte Augenblicke, die man nie vergisst, in denen ein Säugling kurzerhand durchgereicht wurde – eine Sache von Sekunden. Danach verließ die leibliche Mutter, häufig noch ein Teenager, die Klinik. Erleichtert, aber mit Seelenqualen, die sie niemals loslassen würden.
    In einem Gefängnis von Misrata führte ich auch Gespräche mit Vergewaltigern. Zwei armselige Typen, zweiundzwanzig und neunundzwanzig Jahre alt, die sich bei Gaddafis Truppen verpflichtet hatten, zitterten, als sie, mit unstetem Blick, detailliert von ihren Schandtaten berichteten. Es war ein Befehl, sagten sie. Man habe ihnen »Pillen, die einen durchdrehen lassen« gegeben und gleichzeitig Schnaps und Haschisch. Dabei wurden sie von ihren Vorgesetzten mit der Waffe bedroht.
    »Manchmal vergewaltigten wir die ganze Familie. Mädchen, die acht, neun Jahre alt waren, junge Frauen um die zwanzig, ihre Mütter, mitunter im Beisein eines Großvaters. Sie heulten, wir schlugen hart zu. Ich höre heute noch ihr

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