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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Menschen. Wir begegnen einander nur an diesen fest abgesteckten Fronten: Wir alle sind Passagiere auf diesem Schiff, doch wenn es ankommt, ist jeder allein …‹« Ruth hatte mich, während ich sprach, unentwegt angesehen, ich hielt diesen Blick nicht länger aus und sah auf meinen Teller. »Wirklich ausgezeichnet, dieser Karpfen«, sagte ich, und meine Stimme war auf einmal heiser.
    »Warum lenken Sie ab, Herr Norton?«
    »Ich lenke nicht ab! Ich finde nur wirklich, daß dieser Karpfen …«
    »0 gewiß«, sagte sie, sofort auf meine Stimmung eingehend, eben eine gute Ärztin. »Das ist ein Aischgründer Tellerkarpfen, den ich da für Sie ausgesucht habe.«
    »Aha.«
    »In den Fischküchen der Altstadt bekommen Sie ihn nicht besser als hier. Ich wollte Ihnen eine besondere Spezialität bieten – da Sie noch nie in Nürnberg waren.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache.« Ihre forschenden Augen ließen mein Gesicht nicht los. »Das Geheimnis bei der Sache ist, daß dieser Karpfen nicht in Butter gebacken wird, sondern in schwimmendem Butterschmalz – und das nach einem Rezept aus dem Jahr i600. Was haben Sie, Herr Norton?«
    »Gar nichts.«
    »Wirklich nicht?«
    »Was sollte ich haben? Ich bin froh, daß es Babs besser geht.«
    »Das sind Sie, ja«, sagte Ruth. Ich sah schnell auf. In ihrem Gesicht rührte sich nichts. Was für eine Frau, dachte ich, und mir war plötzlich schwindlig. Ich sagte in dem Versuch, die mir gewohnte Konversation zu machen: »Und Ihre Gesellschaft ist so angenehm.«
    »Auch die Ihre, Herr Norton.«
    Ich hob mein Weinglas.
    »Das ist ein sehr kleiner Teil von der Wahrheit«, sagte ich. »Auf Ihre Gesundheit, Lügnerin.«
    Auch sie hob ihr Glas und sah mich an und sagte: »Auf die Ihre, Lügner.«

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    W ir Lügner«, sagte ich, das Glas auf den Tisch stellend. »Ich war immer schon einer, glaube ich.«
    »Vor vielen Jahren nicht«, sagte Ruth.
    »Ach doch«, sagte ich. »Sie nicht. Sie sind anders. Sie sind …«
    »Sie müssen jeden Tag Mrs. Moran anrufen und ihr über Babs berichten, Herr Norton, vergessen Sie das nie!«
    »Ja, liebe Tante«, sagte ich. »Sie sind niemals eine Lügnerin gewesen – lassen Sie mich weitersprechen, es ist kein lupenreines Kompliment, das da herauskommt! –, niemals eine Lügnerin wahrscheinlich bis zu dem Moment, wo ein bestimmtes Gebiet berührt wird.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Wenn man Sie fragt, warum Sie Ihr Studium der Kunstgeschichte abgebrochen haben und Ärztin geworden sind«, sagte ich. »Ich habe Sie das auf dem Flug von Paris hierher gefragt – Sie erinnern sich?« Ruth nickte. »Und Sie erzählten mir eine Menge darüber, daß die Art, wie man Schönheit empfindet, ein psychologisches Problem ist und daß Sie, weil Sie das erkannten, sich entschlossen, noch einmal neu anzufangen – mit Medizin.«
    »Ja und?«
    »Und ich glaube, daß Sie da gelogen haben, daß dieses Umsatteln aus einem ganz anderen Grund erfolgt ist.«
    Eine alte Frau mit einem Korb voll kleiner Blumensträuße kam an den Tisch, und ich suchte den schönsten kleinen Strauß für Ruth aus und gab der alten Frau zuviel Geld. Ich habe allen Leuten immer zuviel Geld gegeben, aber damit mußte jetzt Schluß sein, dachte ich, mein Vermögen beträgt an Barmitteln 45000 Neue Francs und rund 9600 Mark, und der Franc steht zwar gut, aber nicht so gut, wie er stehen könnte, und ich habe keine Ahnung, wann ich von Sylvia wieder Geld bekommen werde. Der alte, müde Kellner mit Namen Arnold, der ständig leicht keuchte, brachte ein Glas voll Wasser, und Ruth stellte den Strauß hinein und sagte: »Danke, Herr Norton.« Sie legte eine Hand auf meine, und ihre Stimme wurde leise. »Sie haben recht, ich habe Sie da auf dem Flug belogen. Ich will Ihnen jetzt die Wahrheit sagen. Ich habe keine Ahnung, warum ich das will – es weiß außer mir noch kein Mensch. Aber Ihnen will ich …«
    »Danke.«
    »Ich hatte einen Bruder«, sagte die Frau mit dem glänzenden kastanienbraunen Haar und den wissenden, ernsten Augen. »Er hieß Peter. Er war zwölf Jahre älter als ich.«
    »Was heißt war?«
    »Er hat sich umgebracht«, sagte Ruth.

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    D er Dr. Peter Reinhardt ging schon sehr früh nach Amerika, um Medizin zu studieren. Er bestand alle Prüfungen mit Auszeichnung und arbeitete lange Jahre am Bellevue Hospital in der Stadt Oklahoma im Staate Oklahoma (erzählte mir Ruth im ›Karpfenzimmer‹ des Nürnberger ›Edelbräu-Kellers‹). Er war Spezialist auf dem Gebiet der

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