Niemand ist eine Insel (German Edition)
Polizei nun schon da sein mußten und daß sie ja von Sondersen entweder bereits über das, was die Wahrheit war, informiert waren oder sofort informiert werden würden, weshalb kaum die Gefahr bestand, daß dieser Kerl, einmal gefaßt, noch etwas mit seinen Minox-Aufnahmen anfangen konnte. Die würden sie ihm abnehmen. Reden konnte er natürlich. Aber da mußte ich einfach sehen, was mir dazu einfiel. »Kollaboration ist: Ich gebe dir meine Uhr, und du sagst mir, wie spät es ist.«
»Sehr komisch«, sagte er. »Also du kaufst mir die Bilder nicht ab?«
»Natürlich nicht. Geh doch zu deinen Redaktionen und Agenturen damit, du Blödmann.«
Das machte ihn sofort wieder so unsicher, daß er lange überlegte. Endlich sagte er: »Natürlich habe ich die Kamera mit dem Film nicht bei mir.«
»Doch egal, wo du sie hast«, sagte ich und ließ das Magazin aus der Pistole springen und das Geschoß, das im Lauf war, auch, und schmiß ihm die Kanone aufs Bett. »Verschwinde jetzt. Ich will dich nicht mehr sehen. Mach, was du willst, Drecksack.«
»Hauptbahnhof«, sagte er. »Schließfach. Da ist die Minox drin.«
»Wenn du jetzt nicht verschwindest, rufe ich die Polizei«, sagte ich. Dabei sah ich durch die halb geöffneten Gardinen der Glastür auf den Balkon hinaus und auf die Straße hinunter. Da standen einige Wagen. Ich hob den Telefonhörer auf.
Der Kerl sprang vom Bett hoch und packte die Waffe.
»Schön«, sagte er, aber ich hätte schwören können, er war nun völlig verwirrt und wußte nicht, ob ich bluffte oder nicht, »wie du willst. Dann muß ich mich eben rausschmeißen lassen überall mit meinen Fotos. Macht prima Fotos, so eine Minox. Ein Jammer, daß ich mich getäuscht habe.«
»Daß dein Freund sich getäuscht hat«, sagte ich.
»Ja«, sagte er. »Also ich gehe jetzt«, sagte er und machte keinen Schritt.
»Na los!«
»Ich gehe wirklich«, sagte er, ohne sich zu bewegen.
Ich dachte, daß ich es riskieren konnte, wenn auch noch viele Probleme offenblieben, so zum Beispiel herauszubekommen, wer mir diese Sauerei eingebrockt hatte, und ich hob den Hörer ans Ohr und sagte laut vor mich hin, was auf der Wählscheibe des Telefons stand: »Polizei-Notruf – eins – eins – null.« Ich wählte die Eins. Der Kerl packte seinen Dufflecoat, der auf die Erde gefallen war, und raste zur Zimmertür. Er riß sie auf, schmiß sie hinter sich zu, und ich hörte, wie er den Flur hinab zum Lift rannte. Ich trat schnell auf den kleinen Balkon hinaus, strich ein Zündholz an und bewegte es hin und her. Bei einem der unter Bäumen parkenden Wagen flammten ganz kurz die Scheinwerfer auf.
Na ja, ich blieb auf dem kleinen Balkon stehen und sah mir das Ende dieses Kapitels – weiß Gott nicht der ganzen Geschichte, das war klar – an. Nach kurzer Zeit trat der Kerl unten ins Freie. Der Nachtportier mußte ihm die Eingangstür geöffnet haben. Als der Kerl im Freien stand, flammten plötzlich die Scheinwerfer von vier Wagen auf. Es ging sehr schnell. Die Wagen stießen von allen Seiten gegen den Eingang des Hotels vor. Der Kerl mit der Igelfrisur war plötzlich grell beleuchtet. Er stand einen Moment erstarrt, dann versuchte er, die Hauswand entlang zu flüchten. Aus den Autos sprangen Männer – in Uniform und Zivil. Zwei von ihnen rannte der Kerl direkt in die Arme. Er wehrte sich kaum. (Sein Bruch.) Gleich darauf hatten die Männer ihn in einen Wagen verstaut. Ich sah, daß ein paar zu mir heraufwinkten, und ich winkte zurück. Unter den Männern, die winkten, erkannte ich den Hauptkommissar Sondersen. Obwohl diese Sache wahrlich nicht in sein Dezernat gehörte, war er noch einmal aufgestanden und hergekommen.
»Ich rufe Sie bald an!« rief er.
»Okay!« rief ich und sah, wie er in einen Wagen stieg.
Gleich danach fuhren die Autos nacheinander fort. Eine Minute später war es wieder totenstill da unten auf der leeren Straße, und erst jetzt bemerkte ich, daß es noch immer leicht regnete und sehr kalt war. Ich sah Glatteis im Licht der Laternen. Dann hörte ich plötzlich leisen Gesang. Ich hatte gerade ins Zimmer zurückgehen wollen, denn ich fror, und ich hatte auf einmal sehr viele Gedanken, wirr durcheinander. Wer war dieser Kerl? Was würde nun geschehen? Wen mußte ich verständigen? Mußte ich überhaupt jemanden verständigen? Vielleicht hatte der Kerl die Fotos schon weitergegeben. Aber dann wäre er nicht hierhergekommen.
Der Gesang wurde lauter. Ich sah einen sehr alten Mann, der
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