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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Mucks. Sonst ist Schluß.«
    Also ging ich zu dem Sessel und setzte mich. Neben dem Sessel waren Glastüren, die auf einen kleinen Balkon hinausführten.
    Der Kerl kam zu mir. Im Gehen griff er mit den Fingern der freien Hand an eine Stelle da über seinen Sachen und kratzte und drückte und schob dort herum. So, wie der aussieht, hat er Filzläuse, dachte ich. Und ich sitze in dem Sessel, in dem eben noch er gesessen hat. Und jetzt steckte der Kerl doch tatsächlich einen Finger in den Abzugsbügel der Pistole und ließ das Ding kreisen.
    »Hören Sie damit auf«, sagte ich. »Das Ding geht leicht los.«
    »Yeah?«
    Er hat zu viele Humphrey-Bogart-Filme gesehen, dachte ich plötzlich. Er imitiert ihn, vor allem beim Sprechen. Er bekommt die Zähne kaum auseinander. Ziemlich trostlose Imitation.
    »Mußt du mir sagen!« sagte er. »Bin mit so’nem Ding groß geworden, you dirty son of a bitch.«
    Ja, Humphrey.
    Wir sprachen nur englisch. Dem Tonfall und dem Inhalt seiner Äußerungen nach habe ich ihn deutsch ›Du‹ zu mir sagen lassen, obwohl es im Englischen ja keinen Unterschied zwischen der Anrede ›Du‹ und ›Sie‹ im grammatikalischen Sinne gibt. Ich werde weiter diese beiden Formen der Anrede so benützen, wie es dem Tenor unseres Dialogs entsprach.
    »Nun nimm schon endlich die Kanone weg, Mensch«, sagte ich.
    »Nervös, eh? Vorhin im Restaurant die große Schnauze. Jetzt volle Hosen.« Danach rutschte ihm die Pistole natürlich vom Finger und krachte auf den Boden. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Der Kerl setzte sich aufs Bett. Er war kreideweiß vor Schreck. Seine Knie schlotterten.
    »Wenn die jetzt losgegangen wäre …«
    Er versuchte sich zu erheben, doch seine Knie waren wie aus Gelee, und er plumpste wieder aufs Bett, die Beine trugen ihn nicht. Einen Tremor hatte er plötzlich wie ein ganz alter Wermutbruder unmittelbar vor dem Delirium. Ich mußte daran denken, daß die Hände jenes so sehr versoffenen Tonmeisters im kleinen Studio von TÉLÉ MONTE-CARLO, der tatsächlich im Delirium gestorben war, an jenem Abend, an dem ich ihn beobachtete, völlig ruhig und sicher gewesen waren.
    »Es tut … tut … mir leid, Mister Norton.«
    Mister Norton.
    Offenbar glaubte er, daß ich so hieß. Hoffentlich. Dann hatte ich die ganze Zeit über einen falschen Verdacht gehabt.
    »Mir ist so schlecht. Sie haben nicht einen Schluck Whisky, Mister Norton?«
    »Nein.«
    »Oder sonst was?«
    »Nein.« Ich bückte mich und hob die Pistole auf.
    »Danke, Mister«, sagte er, als er sah, daß ich die Pistole nun in der Hand hielt, halb auf ihn gerichtet. Ich betrachtete sie. Allmächtiger Vater, er hatte sogar den Sicherungshebel gelöst! Ich schob ihn schleunigst zurück.
    »Muß kotzen«, sagte er, stand taumelnd auf und wankte ins Badezimmer. Die Tür dort fiel hinter ihm zu. Dann hörte ich die entsprechenden Geräusche.
    Jetzt handelte ich sehr schnell.
    Ich trat zum Telefon, das auf dem Tischchen neben dem Bett stand und wählte die Nummer des Hauptkommissars Sondersen, die ich auf einen Zettel geschrieben und in meine Jackentasche gesteckt hatte. Es läutete diesmal länger. Hoffentlich kotzt der Kerl noch eine Weile, dachte ich. Dann war Sondersen am Apparat. Er sagte, fast entschuldigend, er habe sich gerade ins Bett gelegt.
    »Ist der Kerl wieder da?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In meinem Zimmer. Dreihunderteinunddreißig. Hotel BRISTOL. Diesmal hat er nicht die Kamera, sondern eine Knarre.«
    »Wieso können Sie sprechen?«
    »Er kotzt gerade.«
    »Was tut … Egal! Halten Sie ihn fest, solange Sie können. Reden Sie mit ihm. Er will doch was von Ihnen. Ich rufe sofort die Amis an. Unsere Leute auch. Wir kommen.«
    »Beeilen Sie sich aber, bitte.«
    Ich legte den Hörer hin. Die Geräusche im Bad nahmen immer noch kein Ende, es war ziemlich widerlich. Endlich kam er zurück, gelb im grauen Gesicht jetzt, unter den Augen grün. Er fiel auf das Bett und rang nach Luft. Schon eine Type.
    Also stand ich auf und ging ins Bad und sah nach, ob da alles sauber war. Er hatte sogar Klopapier angezündet und hinuntergespült, damit kein schlechter Geruch zurückblieb. Den Mund hatte er sich mit der Brause über der Wanne ausgespült, sie lief noch halb, es kann nur sein Mund gewesen sein, dachte ich – die beiden Zahnputzgläser waren frisch, mit Plastikfolie versiegelt. Ich drehte den Hahn der Brause ordentlich zu. Eine Type. Ich ging zu ihm zurück. Er lag da auf dem Bett und kratzte und kniff sich unten

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