Niemand ist eine Insel (German Edition)
Versuchen der Maskenbildner, der Friseure und der wissenschaftlichen und künstlerischen Berater, das Aussehen des Stars so vorzuplanen und vorzubereiten, daß ein Optimum an Wirkung und historischer Treue zu erhoffen ist. Diese Versuche dauern oft wochenlang.
Von Stunde zu Stunde an diesem Tag fühle ich mich elender – die anderen haben mehr Geduld, und vor allem haben sie Routine! Sie sind es gewöhnt, daß Tonnen, Vogelscheuchen oder hysterische Flittchen erscheinen, davon überzeugt, auszusehen wie Sylvia Moran. Ich bin das nicht gewöhnt. Mein Kopf beginnt zu schmerzen. Meine Augen beginnen zu tränen. Das Herz tut weh. Dann, um 2 Uhr 14 morgens, kneife ich meine schmerzenden, geröteten Augen zusammen und neige mich vor. Wie ich, so starren alle anderen im Zimmer die junge Frau, die eingetreten ist, fassungslos an.
»Sie sind … Sie sind …«, beginne ich, aber ich komme nicht weiter. Die junge Frau betrachtet mich voll Angst.
Bracken sagt: »Sie sind kein Double von Mrs. Moran. Sie sind ihre Doppelgängerin! Was, Phil?«
Ich kann nur nicken.
Vor mir steht Sylvia Moran! Sie ist es natürlich nicht. Aber sie sieht genauso aus.
Der Regisseur da Cava sagt spanisch zu der jungen Frau: »Wie heißen Sie?«
»Carmen Cruzeiro.«
»Wo leben Sie?« fragt Bob Cummings.
»In Madrid.«
»Wo arbeiten Sie?«
»SPANEX«, sagt die junge Frau.
»Was ist das?«
»Eine Export-Import-Firma. Ich bin dort in der Auslandsabteilung Sekretärin. Weil ich englisch, französisch und deutsch spreche.«
Cummings sieht mich an und nickt unmerklich.
Ich sage: »Sie sind engagiert.«
Darauf beginnt Carmen Cruzeiro zu weinen. Bracken gibt ihr ein Glas Whisky. Carmen erstickt fast daran. Endlich beruhigt sie sich wieder. Ihre Personalien werden notiert. Ich bin aufgestanden und habe ihr meinen Sessel überlassen. Als alles erledigt ist und Carmen sich verabschiedet, gibt sie mir die Hand. Eine kleine Karte hat sie darin gehabt. Nun habe ich sie in der Hand. Nun machen alle, daß sie heimkommen. Wir haben eine Reihe von Wagen gemietet – Sylvias Rolls und mein Maserati werden erst heruntergefahren werden, bevor Sylvia in Madrid ankommt. Irgend jemand nimmt Carmen mit. Rod Bracken und ich fahren gemeinsam ins CASTELLANA HILTON zurück. Wir gehen sofort in unsere Zimmer. Dann sehe ich mir die Karte an, die Carmen Cruzeiro mir in die Hand gedrückt hat. In Handschrift steht darauf: »Ich wohne im Hotel CERVANTES, Plaza de las Descalzares Reales, Appartement 12. Kommen Sie morgen um 21 Uhr. Herzlichst Carmen Cruzeiro.«
»Tengo siete muñequitas muy chiquitas, muy bonitas …«
Aus der Wohnung unter Carmen Cruzeiros Appartement erklingen Kinderstimmen. Dieses gemütliche Hotel, in dem man auch kleine (sehr kleine) Appartements mieten kann und das nicht weit von der Puerta del Sol entfernt liegt, habe ich schon einmal gesehen, aber noch nie betreten. Es ist 21 Uhr 30 am Abend des 28. Januar 1972, und ich sitze Carmen Cruzeiro gegenüber am Tisch des winzigen Wohnzimmers und trinke Chato – den billigen, guten Rotwein. Ich trinke ziemlich viel, denn mein Mund brennt. Carmen hat eine Platte voller scharf gewürzter Fleischstückchen, Oliven, pfefferroter Wurst und Tortillas zwischen uns gestellt, und ich habe von all dem ziemlich viel gegessen, während Carmen erzählt hat, interessante, aber zum größten Teil völlig unwichtige Dinge, zum Beispiel, daß sie sechs Flaschen Chato und diese Platte aus einer nahen Tasca geholt hat, um mich zu bewirten. Tascas sind schlauchartige Stehbars mit riesigen Theken, es gibt Hunderte davon in Madrid.
»… qu se Ilaman: Mia, Pia …«
»Da hat ein Kind Geburtstag, und es gibt eine große Feier!« Wir sprechen spanisch. »Hier gehen die Kinder spät zu Bett.«
»… Lina, Pepa, Rosalia, Pilarin und Montserrat …«, singen die Kinder unter uns.
»In diesem Hotel leben ständig ein paar Familien. Ich lebe schon lange hier«, sagt Carmen.
Ich nehme noch ein Stückchen Fleisch und eine Olive. Ich esse langsam und trinke Chato. Ich bin ziemlich betrunken.
»Sieben Püppchen nenn’ ich meine«, heißt das, was die Kinder unter uns spanisch singen. »Sieben kleine, sieben feine, und sie heißen: Mia, Pia, Lina, Pepa, Rosalia, Pilarin und Montserrat …«
Eine Frau wird diese Seiten nie lesen. Eine Frau könnte nicht verstehen, warum ich wirklich zu Carmen Cruzeiro gekommen bin. Männer schon. Männer verstehen, daß man eine Frau so lieben kann, wie ich Ruth damals schon
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