Niemand ist eine Insel (German Edition)
Bildern muß Babs zu einem von Ruth ausgesprochenen ›Reizwort‹ nach einem Mehrfachwahlprinzip auf das entsprechende Bild einer Tafel zeigen. Eine solche Tafel zeigt zum Beispiel einen Strumpf, einen Bleistift, einen Schmetterling und einen Apfel. Ruth sagt etwa: »Bleistift!« Babs müßte dann auf den gezeichneten Bleistift zeigen. Sie tut es auch. Sie tut oft das Richtige. Oft tut sie das Falsche.
Nächster Tag.
Merkfähigkeit. Hier arbeitet Ruth mit dem ›Befolgen von Anweisungen‹. Nounours spielt eine große Rolle …
»Nimm Nounours in den Arm … Stecke Nounours unter die Decke … Hole Nounours wieder unter der Decke hervor und gib ihn mir, Babs …« Die Anweisungen sind zuerst ganz einfach, später komplizierter. Babs macht nicht einen einzigen Fehler, obwohl dieser Test lange dauert und auch mit Ruths Armbanduhr, mit ihrem kleinen Lamm, mit einem Spielzeugkoffer, in den das Lamm zu legen und wieder herauszunehmen ist, und mit anderem gearbeitet wird. Wir strahlen einander alle an, Babs hat Schweißtropfen auf der Stirn.
Nächster Tag.
Motorik. Hier gibt es ein Formblatt und hundert vorgedruckte Kreise. In einer Minute soll Babs mit einem Bleistift möglichst viele Kreise mit einem Punkt versehen, und der Punkt soll möglichst in der Mitte des Kreises sein. (›Feinmotorische Kontrolle‹, wie mir Ruth erklärt hat.)
Babs schafft neunundachtzig Kreise. Die Punkte liegen fast alle nahe um den Kreismittelpunkt, kaum einer gerät an den Rand, keiner außerhalb des Kreises.
Aber Babs spricht immer weiter sehr undeutlich, und ihre Sätze haben nur wenige Wörter.
»Das wird auch viel besser werden«, sagt Ruth.
Ja, wird es?
Donnerstag, 13. Januar 1972: Anruf Bracken im BRISTOL. Ich soll morgen nach Madrid kommen. Anwesenheit unbedingt erforderlich. In den Büros der ESTUDIOS SEVILLA FILMS wird schon die Arbeit aufgenommen – von Architekten, Technikern, Buchhaltern, Regisseuren. Da ich ja Chef der SYRAN PRODUCTIONS bin, muß ich anwesend sein. Auch Bob Cummings, der Produktionsleiter, den Rod für mich gefunden hat, trifft morgen ein. Klar muß ich da sein – besonders, wenn Cummings mich später immer vertreten wird. Es könnte sonst Gerede geben. Abschied von Babs. Sie ist fast heiter. Ich bleibe ja nicht lange weg. Kein Wort über ihre Mutter kommt über Babs’ Lippen. Dann sind noch Formalitäten zu erledigen. Verwaltung legt Zwischenrechnung vor. Eine Anzahlung habe ich bei Einlieferung geleistet. Das Sainte-Bernadette hat Bracken erledigt. Die Rechnung, die mir vom Nürnberger Krankenhaus präsentiert wird, macht mir nun keine Sorgen mehr. Ich bin nicht mehr allein auf die Renngewinne angewiesen, sondern bekomme ja mein Gehalt als Produktionschef.
Ruth fährt mich in ihrem reparierten VW zum Flughafen. Verfährt sich natürlich wieder. Wir erreichen die Maschine nach Paris in letzter Minute. Als ich meinen billigen Koffer aufgegeben habe und mich verabschieden will, nickt Ruth mir kurz zu und läuft fort. Sie dreht sich nicht ein einziges Mal um.
Paris. LE MONDE. Bracken ist schon nach Madrid vorausgeflogen. Ich wechsle Kleidung und Koffer, ich bin wieder Philip Kaven. Mit Sylvias Jet nach Madrid. In Barajas, auf dem Flughafen, erwarten mich Bracken und Bob Cummings. Bob Cummings hat, das weiß ich, die Produktionsleitung bei sehr vielen Superproduktionen der großen Hollywood-Gesellschaften gehabt. Er ist gewiß der beste Mann, den Bracken auftreiben konnte. Etwa fünfzig Jahre alt. Groß. Schlaksig. Schmales Gesicht. Lange Glieder. Kurzgestutztes graues Haar. Höflich und sachlich. Und unbedingt zuverlässig, das hat mir Bracken schon früher gesagt. Bob Cummings kennt die ganze Wahrheit und weiß Bescheid über die Rolle, die er und ich zu spielen haben werden. Er schüttelt mir lange die Hand und sagt: »Sie können mir vertrauen, Mister Kaven. In jeder Lage. Immer.«
Freitag, 14. Januar, bis Freitag, 28. Januar 1972, Zusammenfassung der Tagebucheintragungen: Madrid. Wir wohnen im Hotel CASTELLANA HILTON. Sehr viel zu tun in diesen Tagen. Bin meistens draußen in den ESTUDIOS SEVILLA FILMS. Es ist noch kälter geworden in Madrid. Ständig wirbelt Wind rote Staubwolken über das Freigelände. Arbeiter treiben erste Pfosten und Pfeiler in den Boden. Lastwagen mit Baumaterial kommen ununterbrochen. Riesige Stapel von Holz, Berge von Gips- und Zementsäcken. Maschinen kommen, Kräne, Bagger. Architekten – amerikanische und spanische – arbeiten zusammen. Der Bau der
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