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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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schon wird aufstehen können. Sylvia ist sehr glücklich gewesen, und ich habe mich bemüht, das Gespräch so kurz wie möglich zu führen, und als das nicht gegangen ist, weil sie mir zuerst von ihrer Liebe zu Babs und dann von ihrer Liebe zu mir und dann von den Ideen, die sie noch zum KREIDEKREIS hat, erzählte, habe ich so getan, als könnte ich ihre Stimme nicht mehr hören, und habe vielleicht ein dutzendmal ›Hallo!‹ gerufen, und da hat sie aufgehängt, und ich bin zu Carmen gefahren, die Sylvia so ähnlich sieht wie ein Zwilling. Das alles denke ich und trinke Chato, und dann höre ich ein Geräusch und drehe mich um – und da steht Carmen in der Tür des Schlafzimmers, und sie ist nackt, vollkommen nackt. Sie lächelt. Ich fühle, wie das Blut plötzlich wild durch meinen Körper schießt, und ich stehe auf und gehe auf die nackte Frau zu, die ihre Arme nach mir ausstreckt. Und da läutet das Telefon.
    »Wer kann …«, beginnt Carmen.
    Aber da habe ich, gegen ihren Protest, schon den Hörer des Telefons abgehoben und fühle, wie mein Rücken sich mit dem kalten Schweiß der Angst bedeckt, denn ich weiß, wer das ist, wer das einfach nur sein kann. Es meldet sich der Portier. Ob ich Señor Philip Kaven bin? Ja, der bin ich. Da ist ein Gespräch aus Nürnberg für mich. Bitte sprechen …
    »Ha … hallo, ja?«
    »Herr Norton?« Ruth.
    »Ja, Frau Doktor.«
    »Bitte, kommen Sie, so schnell Sie können.«
    »Wieso? Ist etwas geschehen?«
    »Ja.«
    »Ist Babs tot?«
    »Nein. Aber sie … Bitte kommen Sie! So schnell Sie können!«
    »Ist es etwas Schlimmes?«
    »Ja, Herr Norton.«
    Ich lasse den Hörer fallen und renne auf den Flur und werfe dabei eine Flasche Chato um. Ich packe meinen Mantel und renne aus dem Appartement. Carmen ist mir nachgeeilt, nackt. Sie hat geschrien. Viel und lange. Ich habe kein Wort verstanden.

    Samstag, 29. Januar 1972: Nürnberg.
    »Babs!«
    Keine Antwort.
    »Babs!« Ich knie neben dem Bett.
    Nichts. Sie liegt da und rührt sich nicht. Und als ich sie zum letzten Mal gesehen habe …
    Ich bemerke, daß das Schielen viel schlimmer geworden ist.
    »Babs! Ich bin es! Phil!«
    Plötzlich steht Babs im Bett auf, stellt sich wie eine Ballerina auf die Zehenspitzen und flügelt mit den Armen. Bei dem Versuch, mir ins Gesicht zu treten, fällt sie um.
    Ich sehe entsetzt zu Ruth. Sie ist ernst wie noch nie.
    »Was ist geschehen?«
    Kaum hörbar antwortet Ruth: »Das geht schon seit ein paar Tagen so. Ich dachte, es ist ein Durchgangssyndrom, darum habe ich Sie am Telefon angelogen – verzeihen Sie mir. Jetzt mußte ich in Madrid anrufen und Sie bitten, sofort herzukommen. In der Zwischenzeit haben wir wieder mit gezielter Medikation begonnen. Babs ist auf Alepson eingestellt.«
    »Aber sie hatte sich doch schon so großartig erholt!«
    »Ja«, sagt Ruth. »Und dann, vor fünf Tagen, schlug sie mich plötzlich. Dabei fiel sie aus dem Bett. Ich muß Ihnen die ganze Wahrheit sagen. Babs geriet in einen ungeheueren Erregungszustand. Sie versuchte, ins Bett zurückzukommen. Dabei sah ich, daß ihre linken Extremitäten wieder viel schwerer gelähmt sind. Das Bett machte sie voll – wie in der allerersten Zeit.«
    »Aber das gibt es doch nicht …«
    »Ach, Herr Norton. Glückliche Besserung, schwerster Rückfall – wie oft erleben wir das.«
    Ich kann Babs nicht mehr ansehen, so schrecklich ist das Schielen.
    »Sie wird eine Brille brauchen, wenn das nicht zurückgeht«, sagt Ruth. Eine Schielbrille. Allmächtiger!
    »Und dann, sehen Sie hier!« Ruth weist auf einen Sessel. Auf dem Sessel liegt Nounours, den Jean Gabin Babs einmal geschenkt hat und den sie so liebte. Dem Spielzeugbären sind Beine und Arme ausgerissen, auch der Kopf. Die Stücke liegen herum.
    »Das hat sie heute getan«, sagt Ruth. »In einem neuen Anfall von Zerstörungswut. Heute vormittag. Ich kam sofort, und sie schrie wie irre, wir kämpften richtig miteinander. Und dann, von einem Moment zum andern, verstummte sie.«
    »Sie verstummte?«
    »Ja. Sie spricht kein einziges Wort mehr seither.«
    »Das gibt es auch?«
    »Ja, Herr Norton. Ich weiß, daß Mrs. Moran am ersten Februar wieder auftauchen wird. Wir müssen uns einen Plan zurechtlegen. Auch deshalb habe ich in Madrid angerufen. Sie müssen einen sechsten Sinn gehabt haben, als Sie Adresse und Telefonnummer des Hotels angegeben haben, in dem Sie zu arbeiten hatten. Als Sie anriefen, war ich gerade bei Babs.«
    Sechster Sinn, denke ich. Und sehe

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