Niemand ist eine Insel (German Edition)

riesigen Komplexe nimmt seinen Anfang. In den Bürogebäuden mit ihren hohen, vergitterten, an Andalusien erinnernden Fenstern wird geheizt – aber ungenügend. Wir frieren alle. Viele sind erkältet. Der amerikanische Drehbuchautor ist da, um das Script nach den landschaftlichen Gegebenheiten und den Wünschen des Regisseurs da Cava noch zu korrigieren. Cutter und Cutterinnen treffen ein und richten die Schneideräume her. Der technische und der finanzielle Produktionsstab beziehen ihre Quartiere. Zusätzliche Telefonanschlüsse werden bewilligt und installiert. Joe und Rod mißtrauen jedem europäischen Kopierwerk. So werden die einzelnen ›takes‹, die Aufnahmen, am Ende eines jeden Tages nach Hollywood geflogen werden. Dort wird man sie kopieren und die Muster nach Madrid zurückfliegen.
    Für Statistenrollen (und da gibt es eine Menge) werden spanische Komparsen engagiert. Ein Besetzungsbüro arbeitet. Mit da Cava suche ich die Statisten aus. Ich habe keine Ahnung. Ich darf aber auch nicht immer gleich da Cavas Meinung sein. Also manchmal widersprechen. Zuletzt natürlich doch recht geben. Da Cava ist ein weltberühmter Regisseur. Er weiß, was er braucht.
    Außenrequisiteure in erbitterten Verhandlungen mit Bauern und Pferdezüchtern. Wir brauchen viele Tiere, vor allem Pferde für die Panzerreiter. Drei Dolmetscher arbeiten. Ich muß überall sein und überall meine Meinung äußern. Bob Cummings sagt mir vorher, welche Meinung ich äußern muß. Bob ist großartig. Er hält sich völlig im Hintergrund. Der Produktionschef bin ja schließlich ich. Die Buchhaltung in Verhandlungen mit spanischen Behörden. Devisenprobleme. Keine Ahnung davon. Bob erklärt mir alles. Dann spreche ich mein Machtwort. Dasselbe gilt für die Versicherungen. Hier kommen hartgesottene amerikanische Burschen herüber, von einer der größten Filmversicherungsgesellschaften.
    Ich habe in meinem Leben noch niemals gearbeitet. Aber bis lange nach Mitternacht sitze ich nun mit Bracken und Cummings in meinem Appartement, und da sind Finanzierungspläne, Baupläne, Drehpläne zu besprechen, müssen besprochen werden.
    Die Zeit jagt. Telefonat mit Ruth. Ist mit Babs zufrieden.
    Am 1. Februar wird Sylvia die Klinik Delamares verlassen und wieder in der Öffentlichkeit erscheinen.
    Und wenn Sylvia erscheint – was dann?
    Was dann?

    Wir geben in der Madrider Tageszeitung »ABC« eine große Anzeige auf: Gesucht wird ein Double für Sylvia Moran. Vorzustellen täglich werktags zwischen 15 und 18 Uhr im Büro des Produktionschefs der SYRAN PRODUCTIONS auf dem Gelände der ESTUDIOS SEVILLA FILMS. Ich habe da draußen ein riesiges Büro bekommen. Ich weiß genau, daß ich es selten benützen werde. Aber es ist eingerichtet und mit Akten und Plänen vollgestopft worden, dafür hat Bob Cummings gesorgt – es darf doch schließlich niemand den kleinsten Verdacht schöpfen, daß etwas nicht stimmt.
    Die Anzeige erscheint am Morgen des 28. Januar 1972. Das ist ein Freitag. Natürlich muß ich an diesem Tag um 15 Uhr draußen in meinem Büro sein. Mit mir sind da: Bracken, Cummings, der Regisseur da Cava, der Chefkameramann Roy Hadley Ching, einer der besten und berühmtesten, die Hollywood zu bieten hat (er ist mit seinem Team in diesen Wochen schon auf Motivsuche in Zaragoza, Barcelona und in den Pyrenäen gewesen) und das Ehepaar Katie und Joe Patterson, Sylvias Schminkmeister.
    Wir haben das später feststellen lassen: An diesem Nachmittag des 28. Januar sind insgesamt 114 Frauen und Mädchen erschienen, um sich als Double vorzustellen. In eisiger Kälte und schneidendem Wind standen sie geduldig stundenlang zuerst im Freien und später in den zugigen Gängen der Verwaltungsgebäude Schlange. Das Vorstellen dauerte nicht von 15 bis i8 Uhr, sondern von 15 Uhr bis 2 Uhr 14 früh des nächsten Tages. Mein Büro ist zu dieser Zeit von Tabakrauchwolken verpestet, auf den Tischen stehen Flaschen und Gläser mit Bier oder Whisky. Es ist nicht zu fassen, wie viele Frauen wirklich daran glauben, daß sie genauso aussehen wie eine berühmte Schauspielerin. Kaum eine von ihnen weiß, was für ein schweres Leben das Double eines großen Stars hat: Bei den endlosen Vorbereitungen, die jeder einzelnen Einstellung vorausgehen, muß es den Star vertreten, damit dieser nicht unnötig ermüdet wird. Das Double vertritt den Star beim Einleuchten, das oft stundenlang dauert, bei den Kostümbildnern (es muß dieselben Maße haben wie der Star), bei den