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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Bringen wir Babs gleich um?
    Ruth erhebt sich, holt aus einem Schrank eine Flasche Cognac und gießt ein Glas fast voll.
    »Bitte!«
    »Danke.« Ich stürze den Cognac hinunter.
    »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagt Ruth.
    »Das glaube ich nicht«, antworte ich. »Ich habe gedacht, daß ich schuld bin an allem.«
    »Sie?«
    »Ja.«
    »Aber wieso Sie? Sie haben doch wahrhaftig alles …«
    Ich lasse sie nicht ausreden.
    »Ich habe in Paris erlaubt, daß man bei Babs dieses neue Breitband-Antibiotikum anwendet, das noch nicht genügend erprobt ist. Ich … ich … ich bin schuld, daß das jetzt passiert ist! Es war das Mittel! Das Mittel hat all das angerichtet!«
    »Herr Norton, bitte! Es war nicht das Mittel, das schwöre ich Ihnen! Das Mittel sollte doch nur Babs’ Leben retten. Und das hat es getan. Bei dieser furchtbaren Krankheit kommt es immer und immer wieder zu ersten scheinbaren Besserungen – und dann kippt der ganze Verlauf total um. Glauben Sie mir, die Eltern haben dann immer Schuldgefühle, wenn so etwas passiert, oder sie beschuldigen sich gegenseitig …«
    »Babs ist nicht mein Kind! Ich bin nicht der Vater!«
    »Ich weiß. Trotzdem haben Sie Schuldgefühle. Wegen des Breitband-Antibiotikums.«
    Ich kann nur nicken.
    »Herr Norton, es wäre verbrecherisch, Ihnen jetzt nicht die Wahrheit zu sagen. Babs hat alle die geistigen und körperlichen Behinderungen, die ich genannt habe – und sie hat auch noch andere … die Augen zum Beispiel … ihre plötzliche Stummheit, vieles kommt noch dazu.«
    »Und das wird so bleiben?«
    Darauf antwortet Ruth: »Vieles wird sehr lange so bleiben, Herr Norton. Vielleicht immer. Aber das ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, daß sich die Schädigungen weitgehend zurückbilden – allerdings nur bei entsprechender Behandlung und Obsorge in einer besonderen Umgebung.«
    »In … was … für … einer … Umgebung?«
    »Im Rahmen einer Institution für geistig behinderte Kinder«, sagt Ruth. Auf ihrem Schreibtisch liegen und stehen die zehn Männchen aus Fetzen, die Kaddisch für einen Verstorbenen sagen.

    Dienstag, 1. Februar 1972: Riesengroß sind Sylvias Augen, ihr schwarzes Haar leuchtet, ihre Haut ist so makellos rein und weiß und straff, wie ich es nicht beschreiben kann. Professor Delamare: Ein Zauberer, ein Genie. Sylvia Moran: THE BEAUTY, die Madonna. DIE SCHÖNHEIT, die Madonna spricht wohlklingend, gedämpft, in klassischem Kings-English: »Joe, du alter, verrotteter Sohn einer Hündin, wenn du nicht sofort dein widerwärtiges Dreckmaul hältst und mich zu Ende sprechen läßt, dann klebe ich dir eine, so wahr mir Gott helfe.«
    Das imponiert sogar dem dicken Anwalt Lejeune. Der ist natürlich auch da. Wir sind alle da, die ganze große glückliche Familie, im Salon des Appartements 419, in unserem Salon. Auch der alte Dr. Lévy. Ich bin mit einer Linienmaschine aus Nürnberg gegen Mittag in Paris gelandet, habe den Maserati aus der Garage geholt, bin ins LE MONDE gefahren und habe mich schnellstens in Philip Kaven verwandelt.
    Joe, seine Anwälte, PR-Mann Charley, dieser Ami-Arzt und Bracken warteten schon, Lejeune und Dr. Lévy auch. Ich habe ihnen gesagt, daß ich mich unbedingt noch ein wenig hinlegen und schlafen müsse, bevor Sylvia komme und das Theater losgehe.
    Das haben sie verstanden.
    Ich habe gebadet und mich umgezogen. Hingelegt habe ich mich nicht eine Minute. Ich habe Nürnberg angerufen und Ruth verlangt. Sie war gleich am Apparat.
    »Nichts Neues natürlich, wie?«
    »Natürlich nicht, Herr Norton. Aber auch keine weitere Verschlechterung.«
    »So schlecht, wie es ist, genügt es vollkommen.«
    »Wann kommt Mrs. Moran?«
    »Jetzt ist es vier Uhr. Sie haben aus der Klinik angerufen. Zwei Pfleger sind schon unterwegs mit ihr hierher ins LE MONDE. In einer halben Stunde etwa können Sie für mich beten. Sie beten doch manchmal, nicht wahr?« Lange Pause. Dann: »Herr Norton?«
    »Ja?«
    »Erinnern Sie sich an den Weihnachtsabend?«
    »Und wie!«
    »Sie haben gesagt, daß Sie mich lieben.«
    »Und Sie haben mir verboten, darüber auch nur ein Wort weiterzusprechen.«
    »Ja.«
    »Und?«
    Darauf hat Ruth Reinhardt geantwortet: »In den letzten Tagen geschah so viel Schreckliches. Sie sind so unglücklich wegen Babs. Ich bin es auch. Gestern abend, als ich Ihnen die Wahrheit sagen mußte, war es am schlimmsten. Da konnte ich es Ihnen einfach nicht sagen, meine Kehle war wie zugeschnürt. Und heute sind Sie so

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