Niemand ist eine Insel (German Edition)
früh abgeflogen. Aber Sie müssen es wissen, jetzt.«
»Wissen was?«
»Daß ich Sie auch liebe, Herr Norton.«
»Daß Sie … Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe gesagt: Ich liebe Sie, Herr Norton.«
»Sie lieben …« Ich stottere. Der Hörer entgleitet meiner schweißfeuchten Hand, Schweiß am ganzen Körper bricht aus, ich bekomme den Hörer wieder zu fassen, ich stammle: »Sie … Sie lieben mich?«
»Ja.«
»Frau Doktor, bitte! Warum lieben Sie ausgerechnet mich auf einmal?«
»Nicht auf einmal. Schon lange. Es ist immer stärker geworden. Ich glaube, daß das Liebe ist. Ich weiß es nicht. Ich habe ein solches Gefühl noch niemals für einen Mann empfunden.«
»Ihr Bruder …«
»Das war ein anderes Gefühl, das weiß ich. Ich weiß auch, daß ich alle meine Kinder liebe – auch anders. Das Gefühl, das ich für Sie empfinde, ist mir fremd, absolut fremd. Es … es hat mich zuerst erschreckt, dieses Gefühl.«
»Weil Sie es noch niemals empfunden haben?«
»Ja.«
»Wollen Sie sagen, Sie haben noch nie einen Mann geliebt?«
»Ich habe meine Männer gehabt. Doch Liebe … Liebe ist es das erste Mal bei Ihnen.« Ihre Stimme wird immer leiser.
»Aber … aber ich verstehe das nicht … ich meine, warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es muß doch einen Grund geben! Irgendeinen!«
»Sie waren immer für Babs da.«
»Das ist kein Grund! Andere Männer sind auch für ihre kranken Kinder da.«
»Das stimmt.«
»Also?«
»Also was?«
»Also was ist der Grund? Bitte! Nennen Sie mir einen … einen einzigen!«
Sehr lange Pause.
Dann sagt Ruth, fast unhörbar: »Vielleicht …«
»Ja?«
»Ô Dieu, merci, pour ce paradis … Weil Sie mir diese Schallplatte geschenkt haben.«
»Weil ich Ihnen eine kleine Schallplatte … Das ist doch Wahnsinn!«
»Das ist gar kein Wahnsinn, Herr Norton. So ein Geschenk zu einem solchen Zeitpunkt in einer solchen Situation hat mir noch kein Mann gemacht. Keiner. Ja, ja, es ist die kleine Schallplatte, die mich sicher gemacht hat. Ganz sicher, daß ich Sie liebe.«
»Aber ich bin doch …«
»Ich weiß genau, was Sie sind. Besser, als Sie es wissen. Besser als irgend jemand anderer auf der Welt. Ich weiß, was ich sage. Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Ich liebe dich, Phil.«
»Und ich dich, und ich dich …«
»Rufst du heute noch an – wenn du mit allen gesprochen hast?«
»Natürlich, Ruth, natürlich! Aber wie soll das weitergehen mit uns, wie soll das jetzt weitergehen?«
»Das weiß ich auch nicht, Phil. Hab Mut. Irgendwie wird es weitergehen. Weil wir uns lieben.«
Sie hat den Hörer aufgelegt.
Ich habe meinen Hörer gewiß noch fünf Minuten in der Hand gehalten, auf dem Bettrand sitzend. Das war die seltsamste Liebeserklärung, die ich jemals erhalten hatte. Und es wird, das ist mir klar, auch die seltsamste Liebe werden, die ich mir vorstellen kann. Es wird eine Liebe werden, die ich mir überhaupt nicht vorstellen kann. Was bin ich für ein Glückspilz!
Ruth liebt mich.
Nur eine halbe Stunde später kommt Sylvia.
Auftritt des Stars.
Sie trägt ihren schlichten kleineren Brillantschmuck, sie ist kaum geschminkt, damit man sieht, wie phantastisch das Lifting gelungen ist, sie trägt ein blaues Kostüm und darüber ein Rotfuchscape, sehr raffiniert geschnitten. Im Salon Blumen. Joes Geschmack. Er hat eine halbe Blumenhandlung aufgekauft. Orchideen, Rosen jeder Art, weißer Flieder, lila Flieder, nichts, was es nicht gibt. Allein drei Vasen voll Mimosen. Begrüßung mit Umarmungen und Küssen. Ein Kuß, der nicht enden will, für mich.
»Mein Wölfchen, mein geliebtes Wölfchen, was bin ich froh …«
»Und ich, mein Hexlein«, sage ich und denke daran, daß Ruth mich liebt.
»Jetzt trennen wir uns nie mehr. Nie mehr, hörst du?«
»Nie mehr«, sage ich.
Komplimente von allen. Phantastisch, unfaßbar, wie Sylvia aussieht. Sylvia nimmt Huldigungen entgegen, lächelt dabei. Nicht zu sehr. Wahrscheinlich spannt die Haut noch. Dann fällt ihr auf, wer sich da alles versammelt hat. Nur zu ihrem Empfang?
»Ja … nein … das heißt …« Joe kommt nicht weiter. Er hält die Schnauze. Inzwischen haben Kellner Tee und Kaffee und Cognac serviert. Inzwischen hat der alte Dr. Lévy emsig die Tassen vollgegossen. Und in Sylvias Tasse aus einer sehr kleinen Flasche etwa zwei Dutzend Tropfen einer klaren Flüssigkeit fallen lassen. Sie hat nichts bemerkt. Wir haben alle dafür gesorgt, daß sie nichts merkt.
»Phil, mein
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