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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Schatz, und jetzt zu Babs …« Wir haben Kaffee oder Tee getrunken, Sylvia Tee (mit den Tropfen des Dr. Lévy darin). »Erzähl … erzähl mir von meiner Babs … von meinem Goldstück … wie es ihr geht … wie große Fortschritte sie schon gemacht hat …«
    Ich habe noch einmal getrunken (ebenfalls Tee), alle anderen haben noch einmal getrunken, Sylvia automatisch auch, und dann habe ich über Babs berichtet. Alles. Die ganze Wahrheit. Ich habe mir Zeit gelassen damit und immer wieder Tee getrunken, damit auch die anderen trinken, vor allem Sylvia. Die zwanzig Tropfen werden genügen, um das Schlimmste zu verhüten, hat Dr. Lévy gesagt. Als ich am Ende meiner Geschichte bin, ist Sylvias Tasse leer. Und als ich sage »… es besteht durchaus noch Hoffnung, aber dann muß Babs in eine Anstalt, in ein Heim, dann muß sie eine ganz besondere Behandlung bekommen«, als ich das sage, fällt die dünne chinesische Porzellantasse aus Sylvias Hand auf den Teppich und zerbricht dort, und dann sinkt Sylvia ganz langsam nach vorn und fällt auch auf den Teppich, auf das Gesicht, das eben so hervorragend restauriert worden ist, zum Glück nicht in die Scherben der Tasse, und bleibt leblos liegen. Dr. Lévy und der amerikanische Arzt knien nieder, rollen sie auf den Rücken, bemühen sich um sie. Wir anderen sehen schweigend zu.
    »Ohnmächtig«, sagt der amerikanische Arzt, der schon einmal hier war und den sie Doc nennen. »Kommt gleich wieder zu sich.«
    Auch in Paris schneit es jetzt. Ich sehe dicke Flocken vor dem Fenster. Aus einem reinen Himmel fallen sie auf unsere schmutzige Erde.

    Sylvia ist sehr schnell zu sich gekommen.
    Dr. Lévy hat ihr einen Cognac gegeben und wieder seine Tropfen hineingeschmuggelt. Sie hat getrunken. Das sind Eupalil-Tropfen, hat Dr. Lévy mir gesagt. Das Stärkste, was es an Mitteln gibt, die beruhigen und gleichgültig, aber nicht müde machen. Nein, müde darf Sylvia jetzt nicht werden! Sie muß ganz klar sein. Aber wir können auch keine hysterischen Zusammenbrüche brauchen.
    Sylvia hat den Cognac getrunken. Sie hat wieder auf der breiten Couch gesessen, die mit rotem Samt überzogen ist, und sie hat ziemlich lange geweint. Gewiß zehn Minuten. Niemand hat gesprochen. Wir alle haben Sympathie und Verständnis für Sylvia gehabt. Die meisten haben auf ihre Schuhe oder auf ihre Hände geschaut, oder auf die alten Stiche an den Wänden. Ich habe hinaus in das Schneetreiben geschaut. Es ist schon dämmrig geworden.
    Dann hat Sylvia zu sprechen begonnen, ganz klar, sehr langsam. Die Tränen sind ihr dabei ununterbrochen über das Gesicht geronnen, von Zeit zu Zeit hat sie sie mit einem Taschentuch weggewischt, und sie hat mir – wieder – wirklich leid getan.
    Mit ihrer langsamen, klaren Stimme hat sie gesagt: »Wo ist mein Jet?«
    »In Orly, Hexlein.«
    »Wir fliegen nach Nürnberg. Ich muß sofort nach Nürnberg zu meinem Kind.«
    Diese Art zu sprechen, diese Ruhe im Salon, bei so vielen Menschen, hat der ganzen Szene etwas absolut Unwirkliches gegeben.
    »Du kannst jetzt nicht nach Nürnberg, Hexlein. Ich habe mit der Ärztin telefoniert. Babs würde dich überhaupt nicht erkennen.«
    »Aber ich will sie sehen!«
    »Du kannst jetzt nicht nach Nürnberg«, sagt Bracken.
    »Warum nicht?«
    Jetzt redet Sylvia leiser, fast zärtlich. Ich nicke dem alten Dr. Lévy zu. Er nickt zurück. Wir haben einander verstanden. Das Zeug, das er Sylvia da in Tee und Cognac tropfte, ist wirklich das stärkste und beste, das es gibt.
    »Weil alle Zeitungen voll sind mit der Nachricht, daß du heute aus den Ferien nach Paris zurückkehren wirst …«
    »Ohne Babs?«
    »… und daß Babs noch ein wenig in den Ferien bleiben wird, mit Clarissa, weil es in Paris jetzt doch so scheußlich ist«, sagt Bracken. Die Zeitungen sind wirklich alle voll, Bracken hat die Meldung überall untergebracht.
    »Es ist mir egal, was in den Zeitungen steht! Ich fliege zu meinem Kind!«
    »Das kannst du nicht!«
    »Natürlich kann ich das! Wer will mich hindern?«
    »Hör mal, Sylvia …«
    »Wölfchen, ruf in Orly an. Wir kommen. Sie sollen den Jet startklar machen.«
    »Hexlein, das geht wirklich nicht. Babs muß jetzt unbedingt Ruhe haben. Wer weiß, was geschieht, wenn sie dich doch erkennt.«
    »Nichts wird geschehen! Ich fliege! Babs ist mein Kind! Ich bin eine Mutter! Hat einer von euch Drecksäcken das vielleicht schon einmal überlegt? Wofür haltet ihr mich? Denkt ihr, ihr könnt einfach alles mit

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