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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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meine Stelle haben.«
    Er errötete wie ein junges Mädchen.
    »Herr Norton! Ich werde mich also hier herumtreiben in der nächsten Zeit. Wenn ich Fragen habe, komme ich zu Ihnen. Ich werde viele Fragen haben. Sie wissen so viel, ich weiß gar nichts.« Guter Junge, dachte ich. Guter Junge, wenn du ahntest, wie wenig ich weiß. Wenn du ahntest, daß ich vor ein paar Monaten noch überhaupt nichts gewußt habe. »Also Fragen, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Gleich jetzt, ja?«
    »Die Kinder schlafen noch«, sagte Ruth zu mir. »Ich kann mit meinen Untersuchungen erst später anfangen.«
    »Ich habe noch sehr viele Briefe – ach was«, sagte ich, »fragen Sie, Herr Bend!«
    »Also, zuerst nur das Grundsätzliche: Wie viele Kinder haben Sie hier? Im Moment.«
    »Im Moment einundachtzig.«
    »Im Alter von?«
    »Im Alter von vier bis zwan …« Ich brach ab.
    »Was ist?« fragte Bend.
    »Es sind ein paar hier, die sind schon zwanzig oder werden es demnächst. Sie dürften eigentlich – nach den Vorschriften – nicht mehr hier sein. Mit achtzehn ist es bei uns aus. Aber diese Kinder müssen einfach hierbleiben. Niemand nimmt sie uns ab. Sie können nirgends anders hingehen. Sie sind noch zu krank. Sie brauchen die Schule noch. Ohne die Schule sind sie verloren.« Und in der Marmorhalle des CASTELLANA HILTON sitzt neben einem Springbrunnen ein großer Papagei auf einer Stange und spricht ein paar Sätze in sechs Sprachen, dachte ich.
    »Dann werde ich natürlich schreiben, nur bis achtzehn«, sagte Bend.
    »Wieviel Lehrkräfte gibt es?«
    »Wir haben den Rektor«, sagte ich. »Er ist ausgebildet für die Arbeit an einer solchen Schule. Er hat eine gleichfalls ausgebildete Volksschullehrerin, die aber auch den ganzen Verwaltungskram erledigen muß. Dann haben wir: drei ausgebildete Heilpädagoginnen, vier ausgebildete Erzieherinnen, zwei ausgebildete Krankengymnastinnen, eine Logopädin …«
    »Was ist das?«
    »Jemand, der versucht, den Kindern besseres Sprechen beizubringen. Sie werden bemerkt haben, daß fast alle sehr schlecht und undeutlich sprechen, viele unverständlich, manche sind stumm.«
    »Weiter«, sagte Bend.
    »Ferner haben wir eine Zeichenlehrerin, die auch Werklehrerin ist, einen Hauswart, der die größeren Jungen schon bei einfachen Holz- und Metallarbeiten unterrichtet, eine Musikpädagogin, eine ausgebildete Kinderpflegerin für die Kleinsten, drei Köchinnen, zwei Reinemachefrauen und – ganz wichtig, denn ohne sie bräche hier alles zusammen – Wehrdienstverweigerer.«
    Eine der Köchinnen brachte uns allen Kaffee.
    »Wie viele Wehrdienstverweigerer?« fragte Bend.
    »Zwischen vier und sieben, die Zahl schwankt beständig. Viel zu wenig, Herr Bend. Und endlich freiwillige Helfer. Aber die kommen und gehen, mit denen können wir nicht rechnen. Das ist alles.«
    »Und Sie«, sagte Bend.
    »Ja«, sagte ich, »und ich«, und ein großes Staunen überfiel mich.
    Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann.
    Playboy, Gigolo, Erpresser, Lump, Zuhälter.
    Hatte ich mir alles vorstellen können. Hatte ich manches immer werden wollen. War ich manches gewesen.
    Und nun?
    Verrückt. Absolut verrückt. Absolut verrückt, dachte ich.

7
Heroldsheid, 24. August 1972

Liebe, sehr geehrte Frau Kreuzwendedich,

wir bedanken uns herzlichst für die Überweisung von DM 350,–, die Sie uns durch Scheck zukommen ließen, damit wir, wie Sie schreiben, Ihrem Patenkind Konrad Vetter die dringend benötigte leichte Sommerkleidung kaufen …
    Jetzt saß ich wieder in meinem winzigen Büro und tippte auf der neuen Maschine, die mir der Rektor nach Anhören meiner Flüche vom Vormittag hatte heraufbringen lassen. Das war vielleicht ein Ding! Einfach phantastisch. Ich war glücklich. So glücklich, daß ich den Rektor anrief.
    »Hallein!«
    »Hier ist Norton, Herr Hallein. Ich wollte mich für die neue Maschine bedanken, sie ist großartig!«
    Ich hörte Hallein lachen.
    »Was ist so komisch?«
    »Sie haben einfach zuviel um die Ohren, Herr Norton. Das ist eine von Ihren Maschinen, die da steht.«
    »Von meinen Maschinen?«
    »Ja. Und wir haben noch zwei andere von Ihnen im Haus.«
    »Ich …«
    »Vor drei Monaten haben Sie einen Schnorrbrief an die Firma geschrieben. Die schenkte uns daraufhin drei Maschinen. Nun, und jetzt …«
    Ich lachte ebenfalls.
    »Da sehen Sie, wie sich Schnorren lohnt! Was schreiben Sie denn gerade?«
    »Einen Dankbrief an Frau Kreuzwendedich. Sie hat doch Geld für Konrad

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