Niemand ist eine Insel (German Edition)
Frau, ein fühlendes Wesen, kein Stück Fleisch.«
»Ich verstehe ja alles«, sagte ich.
In der Tat hatten Sylvia und ich, seit sie aus Delamares Klinik gekommen war, nicht ein einziges Mal mehr miteinander geschlafen. Zuerst waren da die großen Schuldgefühle gewesen. Dann die Aufregungen mit dem neuen Film. Es war nicht der Film, das wußte ich. Es waren, noch immer, Schuldgefühle bei uns beiden. Ja, bei uns beiden.
Also gut, wir schliefen nicht mehr miteinander. Aber wir liebten uns unendlich, nicht wahr, das mußte jeder Reporter, jeder Fotograf sehen, das sah die ganze Welt – im Fernsehen, in den Wochenschauen, auf den Titelseiten der Illustrierten.
Sylvia redete immer weiter, ich hörte nicht mehr zu, es interessierte mich nicht, über wen sie sich beschwerte. Und Ruth hat Skrupel wie ich, dachte ich. Also werde ich mit Carmen schlafen. Hat keinen Sinn, daß ich auch noch durchdrehe. An mir hängt schließlich alles. Und Carmen ist bereit, das weiß ich. Sie ist bisher jedesmal bereit gewesen, wenn ich nach Madrid gekommen bin. Ein etwas komisches Leben, nicht wahr, mein Herr Richter?
»… und gib meinem Liebling einen ganz, ganz dicken Kuß, ja?«
»Ja.«
»Ich küsse auch dich … Wenn der Film fertig ist, wird alles genauso sein wie früher … Besonders, wenn ich dann auch meinen Schatz sehen kann, wann ich will … Ich liebe dich, Phil, ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben.«
»Und ich dich, mein Hexlein.«
»Heute nacht brennt die Stadt! Da kannst du mich nicht erreichen. Die großen Massenszenen, weißt du? Ich habe Nachtaufnahmen. Morgen auch. Wir können erst übermorgen wieder miteinander telefonieren. Ich habe dich in meinem Herzen, Wölfchen. Good-bye, my love.«
»Good-bye.«
Der Schweiß rann mir vom ganzen Körper, als ich den Hörer fallen ließ. Wenn Sylvia wüßte, dachte ich. Wenn sie wüßte, wie schlecht, wie elend schlecht es Babs noch immer geht und noch lange, vielleicht immer gehen wird! Ich darf es ihr nicht sagen. Sie muß ihren größten Film drehen, diese Größte. Arme, arme Sylvia …
Ich dachte, daß sie wirklich arm war, denn natürlich ignorierte sie die Erkrankung von Babs nicht, natürlich litt sie wirklich unter ihr – da sah ich einen Zettel neben dem Telefon. Ich las:
LIEBER HERR NORTON!
IHRE FLUCHEREI WEGEN DER KAPUTTEN SCHREIBMASCHINE HABE ICH HEUTE VORMITTAG BIS IN MEIN ZIMMER GEHÖRT. WIR HABEN IHNEN EINE NEUE MASCHINE IN IHR BÜRO GESTELLT UND HOFFEN, DASS SIE NUN ZUFRIEDEN SIND!
ENTSCHULDIGUNG. HALLEIN.
6
D er Journalist des NÜRNBERGER MORGEN war jung und sehr höflich. Er saß mit Ruth an einem Ecktisch. An einem großen anderen aßen alle Mitarbeiter der Schule. Die zweite Schicht der Kinder war dabei, den Speisesaal zu verlassen. Erwachsene und Kinder bekamen dasselbe Menü. Der Journalist erhob sich, als ich näher kam.
»Florian Bend«, stellte er sich vor.
»Philip Norton. Nehmen Sie Platz, Herr Bend.«
Eine Köchin brachte mir einen Teller Suppe, ich aß – die anderen auch. Bend sagte: »Frau Doktor Reinhardt hat mir gesagt, daß Sie für mich der richtige Mann sind. Sie haben selber ein geistig behindertes Kind hier …«
Ruth sah mich an.
»Ja, Herr Bend«, sagte ich.
»… und weil es am einfachsten für Sie ist, leben Sie hier mit Ihrer kleinen Tochter, wie mir Frau Doktor Reinhardt erzählte. Sie haben die Stelle eines PR-Manns für die Schule übernommen, Sie korrespondieren mit allen Behörden und besuchen sehr viele Menschen, und …«
»Ja«, sagte ich. »Ich bin viel unterwegs. Es ist sehr schwer, genug Geld aufzutreiben für unsere Schule, wissen Sie. Ich versuche alles, was mir einfällt, zu organisieren, damit wir zu Geld kommen.«
»Zum Beispiel?« fragte Bend. »Es macht Ihnen nichts aus, wenn ich meinen Recorder anstelle? Ich kann nämlich nicht stenografieren.«
»Stellen Sie das Ding ruhig an.« Er tat es. Wir aßen und sprachen, hauptsächlich ich. »Zunächst mal: Für kein Kind hier – ob es die Tochter eines Bauarbeiters ist oder der Sohn eines Generaldirektors, egal, für keines! – wird auch nur ein Pfennig Schulgeld verlangt. Oder Geld für irgend etwas anderes. Alles, was hier für die Kinder geschieht, kostet die Eltern absolut nichts!«
»Die Reichen könnten aber doch bezahlen!«
»Alle Menschen sind gleich, heißt es, nicht wahr? Alle Kinder auch. Wir« – ( Wir , mein Herr Richter!) – »wollen nicht, daß trotzdem manche Kinder gleicher sind als die anderen.«
»Na, aber
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