Niemand ist eine Insel (German Edition)
Pfleger Sylvia, die reglos auf einer Bahre lag, zum ersten Stock hinauffuhren. Ich kniete neben Sylvia. Redete. Weiß nicht mehr, was. Sinnloses Zeug. Redete. Erster Stock. Die Pfleger rollten die Bahre auf einen anderen Gang. Ein Stationsarzt kam gelaufen, hager, schwarzhaarig.
»Ich bin Doktor Molendero«, sagte er englisch zu mir.
»Philip Kaven. Das ist Mrs. Moran. Sie hat Gift genommen.«
»Wann?« fragte der Arzt, der sich schon über die Reglose beugte und sie untersuchte.
»Vor zehn Minuten … einer Viertelstunde …« Bracken reichte dem Arzt eine Medikamentenpackung, aufgerissen. »Da! Das ganze Röhrchen!«
»Großer Gott«, sagte der Arzt, als er das Etikett auf dem Röhrchen sah. Und spanisch zu den Pflegern: »Notaufnahme! Los!«
Die Pfleger hoben die Bahre auf. So schnell sie konnten, eilten sie den Gang hinab. Der Arzt wollte ihnen nachlaufen. Ich packte ihn am Arm.
»Was ist? Wird sie durchkommen?«
»Weiß ich nicht.«
»Die Chancen?«
»Sehr gering – bei dem Mittel … Lassen Sie mich los!« Dr. Molendero stieß mich fort und rannte hinter den Trägern her. Über die Schulter rief er: »Gehen Sie da rein! Zimmer hundertelf!«
»Okay, Doc.« Ich wandte mich an Bracken, der zitterte. »Du geh runter. Sprich mit den Polizisten. Es darf nichts bekannt werden. Unter keinen Umständen. Fahr mit ihnen ins Präsidium. Zu Lejeunes Freund. Wenn nötig, schalte Lejeune ein.«
»In Ordnung, Phil.« Bracken lief schon die Treppe neben dem Lift hinab. Ich sah Carmen an. Sie weinte. Wortlos zog ich sie mit mir – hinein in das Zimmer 111.
38
H allo … Hallo … SEVEN STARS? … Hier ist Philip Kaven aus Madrid … Dies ist ein Blitzgespräch … Geben Sie mir Mister Gintzburger … Schnell! Schnell, verflucht!«
Zwanzig Minuten waren vergangen.
Im Zimmer 111 strahlte alles weiß: die Tische, die Stühle, die Wände, der Fliesenboden, das Telefon. Carmen saß beim Fenster, das Ausblick in einen kahlen Garten gab. Ich saß an einem weißen Schreibtisch.
»Hallo … hallo, Joe?«
»Hallo, Phil.« Die milde Bibelverkäuferstimme. »Natürlich sind Sie in Madrid. Wo in Madrid? Was ist passiert?«
»Etwas Furchtbares, Joe … Ich bin im Hospital San Rufo …« Erst jetzt merkte ich, daß ich genauso zitterte, wie Bracken gezittert hatte – immer noch. Ich berichtete stammelnd, was in Madrid Furchtbares passiert war. »… wir haben sie ins San-Rufo-Krankenhaus gebracht … Beste Klinik hier … Seit einer halben Stunde bemühen sich die Ärzte um sie …«
Es folgte eine Stille, die so lange dauerte, daß ich rief: »Sind Sie noch da, Joe? Haben Sie mich verstanden?«
»Ich habe Sie ausgezeichnet verstanden, Mister Kaven.«
Mister Kaven also jetzt. Nicht mehr Phil also jetzt. Aber sanft und fromm. Wenn auch durch die Nase schniefend, immerhin.
»Und, Joe? Und?«
Wieder eine lange Stille. Dann: »Wer weiß noch davon außer Ihnen und Bracken?«
»Das … das …«
»Na!«
»Das Double.«
»Wo ist das Double, Mister Kaven?«
»Hier bei mir … Ich habe sie mitgenommen, weil …«
»Wer noch, Mister Kaven?« Schniefen.
»Zwei Verkehrspolizisten. Der Arzt. Andere Ärzte hier. Das Personal im Krankenhaus.«
»Nun, es gibt eine ärztliche Schweigepflicht«, sagte die salbungsvolle Stimme, immer langsam, immer bedächtig. »Was die Polizisten angeht …«
»Ich habe sofort Bracken zu ihnen geschickt … Er ist mit aufs Präsidium gefahren … Hat schon angerufen … Lejeune hat sich eingeschaltet … Die Sache bleibt geheim … wird nicht bekanntgegeben …«
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß Sylvia stirbt, Mister Kaven?« Schniefen.
»Wirklich, Joe …«
»Wie groß, Mister Kaven? In Prozenten. Wie groß?«
»Joe! Das ist doch alles erst passiert!« Carmen sah mich erschrocken an, weil ich, am Ende meiner Kräfte, zu schreien begonnen hatte. »Ich kann Ihnen doch keine Prozentrechnung aufmachen! Ich habe noch nicht einmal den Arzt wiedergesehen! Ich …«
»Nicht«, sagte die fromme Stimme von jenseits eines Ozeans, jenseits eines Kontinents.
»Was nicht?«
»Nicht schreien, Mister Kaven. Ich mag das nicht. Ich schreie auch nicht mit Ihnen. Würden Sie sagen, die Wahrscheinlichkeit, daß Sylvia stirbt, ist sehr groß?«
»Sehr groß, Joe, ja, das fürchte ich.«
»Hrn. Solange sie aber nicht gestorben ist, dürfen die Dreharbeiten auf keinen Fall unterbrochen werden, das ist Ihnen doch klar, Mister Kaven?«
»Das ist mir klar, Joe,
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