Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
Ausgang des Palastes zuzugehen – die Kamera schwenkte mit ihr. Sylvia kam aus ihrem Blickfeld, das Kind an der Hand. Beide blieben stehen. Die Kamera lief noch ein paar Sekunden, damit der Cutter Material für die Anschlußeinstellung hatte.
    Dann ertönte da Cavas Stimme: »Aus!«
    Niemand bewegte sich jetzt.
    »Wie war es?« fragte da Cava.
    »Erstklassig! Noch besser als beim ersten Mal«, hörte ich Roy Hadley Ching, den chinesischen Kameramann, sagen.
    »Ton auch okay!« kam eine Lautsprecherstimme. »Auch besser als beim ersten Mal!«
    »Vielen Dank Ihnen allen«, sagte da Cava.
    Im nächsten Moment begannen Statisten und Schauspieler, Bühnenarbeiter und Techniker, rund zweihundert Menschen, zu klatschen. Sie klatschten rhythmisch, und sie riefen rhythmisch: »Sylvia! Sylvia! Sylvia!«
    Auch Carmen klatschte und rief.
    Sylvia stand ausdruckslos da, verneigte sich dann und ging schnell aus der Dekoration, über das Gelände zu ihrem Wohnwagen. Die Tür fiel hinter ihr zu. Groß stand auf dieser Tür:
    SYRAN PRODUCTIONS
    »THE CHALK CIRCLE«
    SYLVIA MORAN

36
    I ch glitt von dem Versatzstück. Carmen wollte folgen, ich hob sie herab. In der Dekoration wimmelten Menschen durcheinander. Da Cava gab durch ein Megafon Anweisungen. Es wurde schon die nächste Einstellung vorbereitet. Ich sah Bracken zu dem Wohnwagen gehen, er trat ein, die Tür schloß sich. Offenbar wollte er etwas mit Sylvia besprechen. Ich ging auch auf den Wohnwagen zu. Carmen kam mir nach. Wir hatten nie wieder über jenen Abend gesprochen. Vielleicht können Sie verstehen, warum Carmen seither eine starke Bindung an mich verspürte, mein Herr Richter? Ich kann es nicht. Aber so war es. Hinter uns schrien Assistenten des Regisseurs da Cava, wurde der Kran auf seinen Schienen zurückgerollt, war jedermann beschäftigt. Carmen und ich waren auf etwa fünf Meter an den Wohnwagen Sylvias herangekommen, da flog dessen Tür auf und Bracken sah suchend heraus, das Gesicht weiß, die Lippen bebend.
    »Phil!«
    »Was ist?«
    »Komm! Schnell!«
    Ich rannte los, während er ins Freie sprang. Ich sah in den Wagen. Auf der Couch lag, keuchend, würgend, nach Atem ringend, Sylvia, die Augen verdreht, die Lippen weit geöffnet, Schaum vor dem Mund.
    »Sie hat Gift genommen«, flüsterte Bracken.
    Ich rannte zu dem Rolls, riß den Schlag auf, ließ mich hinter das Steuer fallen und fuhr bis zum Wohnwagen. Sprang wieder heraus. Half Bracken die stöhnende Sylvia im Fond verstauen. Er kletterte nach. Ich rannte los. Blieb stehen. Rannte zurück. Packte Carmen. Stieß sie auf den rechten Vordersitz des Rolls.
    »Was soll …«
    Ich antwortete nicht, lief um den Wagen, rutschte hinter das Steuer, trat auf das Gaspedal. Niemand hatte etwas bemerkt – niemand von all den vielen Menschen, die in der fernen Dekoration beschäftigt waren. Nicht einmal die Detektive. Sie sahen den Arbeitern zu. Ich erreichte die Ausfahrt des Geländes. 12 Uhr 36 zeigte die Uhr auf dem Armaturenbrett. Aus einem wäßrig blauen Himmel fiel kaltes Sonnenlicht auf die Stadt Madrid …

37
    D er Rolls raste durch die Straßen. Calle de Hermosilla. Calle Ayala. Die beiden Motorrad-Polizisten fuhren nun vor uns her, mit heulenden Sirenen. Als sie mich einholten, hatten sie sofort gesehen, was hier los war, ein paar Worte genügten, dann hatten die Polizisten begriffen.
    Alleebäume. Weiße, stuckverzierte Prunkbauten von immer neuen Banken, die Portale von Bettlern umlagert. 12 Uhr 56. 12 Uhr 57. 12 Uhr 58 …
    »Da!« schrie Bracken.
    Die beiden Polizisten machten Zeichen mit den linken Armen. Ich trat auf die Bremse und schlug den Hebel herunter, der die linken Blinklichter einschaltete. Einbiegen nach links. Calle de Padilla. Ein weißes Eckhaus. Das Krankenhaus! Die Polizisten hatten beim Eingang gehalten. Nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt bekam ich den Rolls zum Stehen. Die Polizisten rannten schon in das Hospital San Rufo hinein. Bracken rannte ihnen nach. Atemlos schrie er: »Bahre! Bahre!« Idiotisch.
    Auf der Straße blieben Menschen stehen, als Sylvia gleich darauf von weißgekleideten Pflegern aus dem Wagen gehoben wurde. Niemand sprach. Eine Bettlerin, ganz in Schwarz, hob einen verhungert aussehenden kleinen Jungen hoch über den Kopf, damit er besser sehen konnte. So etwas brachte Glück …
    »Los, komm mit!« Ich riß Carmen weiter. Bevor sie begriffen hatte, was geschah, war sie bereits im Krankenhaus, in einem langen Gang, in einem großen Lift, in dem die

Weitere Kostenlose Bücher