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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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kleine Messingtafel?«
    Ich nickte und griff in meine Jackentasche. Da war die kleine Metalltafel, die mir Ruth geschenkt hatte – vor so langer Zeit. FRIEDEN ALLEN WESEN stand darauf.
    »Und du?« fragte ich. »Dein Lämmchen?«
    Sie zog das kleine, abgegriffene Spielzeug aus einer Tasche ihres Kleides.
    Dann lächelten wir beide, aber ich sah, daß ihre Lippen dabei zitterten, und fühlte, meine Lippen zitterten auch. Ich sagte: »Ich liebe dich so sehr, mein Herz.«
    »Und ich dich«, sagte Ruth. Sie strich noch immer über meine Wange. »Ich habe gefragt. Dein Prozeß kommt bald. Nach Sylvias Tod wird es vielleicht nur noch eine Formsache sein.«
    »Ja«, sagte ich. »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht werde ich verurteilt – für lange Zeit.«
    »Ich glaube das nicht.«
    »Weil du es nicht glauben willst.«
    »Ja«, sagte Ruth, »das stimmt.« Zwischen jedem Satz, den wir wechselten, lag dumpfes Schweigen. Und die Sonne schien und viele Vögel lärmten, und mir war elend, so elend, und dabei war ich so glücklich, so unendlich glücklich, weil Ruth vor mir stand. Ich küßte sie wieder. Wir gingen weiter, Hand in Hand. Ich spürte Ruths kleines Lamm. Sie hatte es in der Hand behalten, die sie mir gab.
    »Man hat mich allein zu dir gelassen. Der Wärter schaut nur vom Fenster zu. Das ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen«, sagte Ruth. »Ein gutes Zeichen dafür, daß man bei deinem Prozeß mildernde Umstände geltend machen wird und du vielleicht bald schon freikommst. Und das sage ich jetzt nicht, weil ich es hoffe. Das fiel mir gerade ein – als wirklicher Hinweis darauf. Sonst hätten sie mir doch einen Wärter mitgegeben und uns nicht allein gelassen!«
    »Das stimmt«, sagte ich. Und fühlte mich besser. »Da ist etwas dran. Ja, da ist etwas dran. Und dazu kommt, daß der Vorsitzende sagte, alles spreche dafür, daß Sylvia unschuldig war.«
    »Siehst du«, sagte Ruth, und sie blickte mich an und lächelte wieder, und auch ich lächelte, und wieder zitterten unsere Lippen, trotzdem.
    »Babs«, sagte ich. »Wie geht es Babs? Seit sieben Monaten weiß ich nicht, wie es Babs geht. Das hat mich fast wahnsinnig gemacht.«
    »Es geht ihr gut, Phil. Manchmal zwischendurch ging es ihr ein wenig schlechter. Jetzt geht es ihr schon wieder sehr gut. Sie hat weitere Fortschritte gemacht. Die Lähmung ist nicht mehr vorhanden. Sie kann schon längere Sätze schreiben. Sie kann rechnen – einfache Rechnungen. Sie hat gelernt, allerlei zu kochen. Ihre Aussprache ist viel besser geworden.«
    »Die Augen?«
    »Da hat sich noch nichts geändert, leider. Aber sie ist außerordentlich geschickt beim Werken. Sie macht dauernd Arbeiten aus Ton. Sie bemalt sie. Sie kann zu Musik nun auch schon tanzen, ohne je hinzufallen. Zuerst hat sie immer nach dir gefragt. Dann, in einer ihrer schlechten Perioden, vergaß sie dich. Dann fragte sie wieder. Aber sie hat kein gutes Zeitgefühl, Gott sei Dank. Für sie sind diese sieben Monate keine sieben Monate viel weniger. Vielleicht sieben Tage. Sie hat mich gestern wieder nach dir gefragt. Ich habe gesagt, du kommst bald nach Hause.«
    »Nach Hause?«
    »Ja. Sie betrachtet die Schule als ihr Zuhause. Sie hat gefragt: Wann kommt Phil endlich wieder nach Hause?«
    »Die andern …«
    »Die Kinder sind unfähig zu begreifen, was passiert ist – und da sage ich wieder Gott sei Dank. Die Erwachsenen haben es natürlich alle begriffen. Der Rektor ist von der Kriminalpolizei vernommen worden. Aber das ist sehr diskret geschehen – dank Sondersen. Da haben wir einen Freund.«
    »Ja«, sagte ich. »Das ist ein wirklicher Freund. Wir werden wirkliche Freunde brauchen jetzt.«
    Langsam gingen wir über den Schotterweg, über den Hof.
    »Heute wäre Babs dritter ›Geburtstag‹ in Heroldsheid«, sagte ich. »Heute vor zwei Jahren haben wir sie hingebracht, an jenem Morgen, in diesem Autobus. Erinnerst du dich?«
    »Natürlich.«
    »Hausmeier hieß der Fahrer.«
    »Heißt er immer noch.«
    »Das war der Tag, an dem Otto so furchtbar viele Fensterscheiben zerbrach, erinnerst du dich?«
    »Natürlich.«
    »Wie geht es ihm?«
    »Otto hat sich so gut entwickelt, daß er seit drei Monaten in einer ›beschützenden Werkstatt‹ arbeitet – an einer Stanzmaschine. Und er lebt in einer Wohngemeinschaft in Nürnberg.«
    »Mein Gott«, sagte ich. »Die Zeit – wie schnell sie vergeht. Unser Leben – wie schnell es vergeht. Wenn mir jetzt etwas zustößt – was wird aus

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