Niemand ist eine Insel (German Edition)
rufen: »Gehirngeschädigt nach einer Meningo-Encephalitis! Ein Idiotenkind, wenn Sie wollen! In einer Sonderschule! Wird niemals mehr gesund werden! Niemals mehr! Babs, das Liebste, was ich besitze, Babs – ein Kretin!«
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E inen Arzt!«
Der Vorsitzende hatte sich erhoben, nachdem Sylvia auf ihren Stuhl gesunken war.
»Los, einen Arzt!«
Sylvia fuhr empor.
»Es kommt kein Arzt an mich heran!«
»Aber Sie sind in Gefahr, Mrs. Moran! Bitte!«
Ich sah, daß einer der Sachverständigen – vermutlich der medizinische – aufgestanden war.
»Setzen Sie sich!« schrie Sylvia ihn an. »Mir fehlt nichts! Ich will reden! Ich muß jetzt reden!«
Der Sachverständige setzte sich wieder.
»Dann, so sagte mir Romero, würde er dafür sorgen, daß die ganze Welt erfuhr, was wir – meine Gesellschaft meine ich – und ich mit so viel Mühe bisher verborgen hatten! Dann war es aus mit mir! Dann war Schluß! Also bestellte ich das Zimmer in diesem Hotel! Also flog ich nach Nürnberg! Also traf ich Romero! Natürlich kam es zum Streit! Es kam zu dem Handgemenge, von dem der zweite Sachverständige sprach! Aus meiner Handtasche fiel ein Medaillon mit einem Bild von Babs, das weiß ich noch … Dann … dann weiß ich nicht, was geschah … Ein Schuß ging los … Es steht nun wohl fest, daß Romero sich aus Versehen selber erschoß … Aber ich hatte die Pistole gezogen! Ich! Meine Pistole! Wenn er sich nicht erschossen hätte, ich hätte es getan!« Sie konnte vor Keuchen kaum mehr sprechen. »Dann … dann … Das Medaillon, das weiß ich auch noch … Es war zu Boden gefallen … Es lag unter ihm … Unter dem Toten … Ich hatte Angst, daß man es findet … Darum hob ich den Toten hoch … versteckte das Medaillon, damit es nicht bei mir gefunden wird …«
»Warum sollten Sie nicht ein Medaillon Ihrer Tochter bei sich tragen?«
»Herr Staatsanwalt … das … das verstehen Sie nicht … Ich … ich verstehe es auch nicht … Ich habe damals vollkommen sinnlos reagiert … Ich war von Sinnen … Ich stand ja dann mit der Pistole in der Hand da, bis … Ich … ich weiß keine Erklärung dafür … aber so war das …«
»Sylvia, bitte! Bitte, bitte, hör auf!«
Sie schien mich nicht zu hören.
»Jetzt wissen Sie es …«
Der Staatsanwalt: »Sie reden dauernd davon, daß Rettland Sie erpreßt hat. Wie konnte er Sie erpressen? Mit einem gehirngeschädigten Kind? Daran haben Sie doch keine Schuld!«
»Es ist die Strafe Gottes!«
»Strafe Gottes? Wofür?«
»Sie … Sie haben ja alle hier im Saal verfolgt, wie Bracken verhaftet wurde, weil er auf Tonband aufnehmen ließ, was ich nach dieser Fernsehsendung für behinderte Kinder in Monte-Carlo gesagt habe … Ich habe grausige Sachen gesagt …«
Bracken verhaftet? Bracken der Tonband-Erpresser? In diesem Moment wußte ich noch nichts von dem, was ich schon berichtet habe. Ich stand da mit offenem Mund, ich kam nicht mehr mit, ich faßte das alles nicht mehr. Bracken …
»Herr Vorsitzender! Herr Staatsanwalt! Sie alle hier … Ich bin schuldig … auf jeden Fall schuldig … auf jeden Fall … Ich habe mich damals in Monte-Carlo, als ich diese schönen Worte sprach, vor allen gehirngeschädigten oder behinderten Kindern geekelt … Und dann habe ich gesagt, daß Hitler recht hatte, als er sie alle umbringen ließ … Ich habe viel schlimmere Dinge gesagt … Für mich waren solche Kinder keine menschlichen Wesen … Sie verdienten keinen Schutz, keine Hilfe … Sie sollten umgebracht werden, das war meine Ansicht! Umgebracht! Umgebracht! … Die Rede hielt ich nur, weil sie mir einredeten, das sei phantastisch für meine Publicity … Und neben mir saß Babs … damals noch gesund … meine geliebte Babs … Gott hat mich gestraft … Gott hat mich gestraft … Heute denke ich anders … Aber dazu mußte Babs idiotisch werden … Heute denke ich wie eine Mutter, die ein idiotisches Kind hat … Nicht alle Mütter tun das, ich weiß … aber die meisten … Heute … heute … seit Babs erkrankt ist, ekle ich mich nicht mehr … bin ich nicht mehr dafür, solche unglücklichen Geschöpfe umzubringen … heute, wo es zu spät ist … zu spät für alles … Heute liebe ich Babs noch viel mehr als damals … Aber mit all meiner Liebe heute ist nichts getan … Die Liebe muß …« Sylvia holte pfeifend Atem und fiel zu Boden.
Der Sachverständige, den ich für den Mediziner gehalten hatte, eilte
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