Niemand ist eine Insel (German Edition)
Beispielsweise die vierte, neu bearbeitete Auflage des BROCKHAUS © F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1971. In Band 4 (NEV bis SID) steht da auf Seite 201, mittlere Spalte, Mitte: ›Playboy [pl'eiboi, engl.], der -s/-s, eleganter, weltgewandter, meist vermögender Müßiggänger; Frauenheld‹.
Sie haben nachgelesen, mein Herr Richter? Dann bitte ich Sie, dem kleinen Wort ›meist‹ besondere Beachtung zu schenken. Wer immer hier Redakteur gewesen ist – ich schüttle ihm im Geist die Hand –, wenn auch (aber ich bitte inständig, dies nicht als Mäkelei, Beckmesserei oder gar Rüge aufzufassen), wenn auch, so dankbar ich bereits für das ›meist‹ bin, das ideale Wort ›manchmal‹ gewesen wäre.
Playboy – das sagt man so. Sie, mein Herr Richter, sagen es, wenn Sie es sagen, abfällig, ach, warum es leugnen? Etwas Feines ist das ja wirklich nicht. Nur, je nun, sehen Sie den BROCKHAUS: ›meist‹. Es gibt also Nuancen, nicht wahr? Und wie groß sind die doch! Ein Playboy ist in der Tat nicht immer ›vermögend‹, wollte sich doch die geneigte Öffentlichkeit endlich diesen Umstand als Tatsache zu eigen machen. Ich beispielsweise bin absolut unvermögend. Sie wiegen den Kopf, mein Herr Richter, ach ja, doch, doch, ich fühle es, Sie zweifeln. Sie gedenken meines Bruders und der uns vom Vater vererbten so bekannten Kabelwerke. Das Drama, über das zu berichten Sie mich ermuntern, hat – und Sie wissen, daß ich hier wahrlich nicht übertreibe – weltweit Sensation verursacht. Der Name meiner Familie wurde in sämtlichen Massenmedien millionenfach erwähnt. Mein armer, braver Bruder Karl-Ludwig. Wie gern hätte ich ihm das alles erspart. Doch lag das denn jemals in meiner Macht? Nein, wirklich nicht. Das alles lag und liegt noch immer jenseits der mächtigsten der Mächte.
Ach, aber wenn Sie nun glauben, es sei eine feine Sache, auch nur ein solcher Playboy zu sein wie ich, nämlich ein absolut unvermögender, dann täuschen Sie sich gewaltig. Eine Scheiß-Sache ist das. Eine verfluchte, rauchende Scheiße ist dieser Job, diese Existenz, wie Sie es nennen wollen, und ich bitte um Vergebung für die argen Worte, die mir eben entflohen sind. Ich fürchte sehr, es werden mir bald noch viel ärgere entfliehen, nein, nicht entfliehen: sich einfach nicht vermeiden lassen. Ich wünschte sehr, ich wäre kein Playboy gewesen. Allein, was soll ich machen? Ich war einer. Und was für einer. Wissen Sie, mein Herr Richter, manchmal, nein, ziemlich oft, da hätte ich mir liebend gern stundenlang in die Fresse geschlagen für das, was ich tat, für meinen feinen Charakter. Tja, aber dann dachte ich eben stets sofort wieder an die Sorglosigkeit, das schöne Leben …
Ganz unter uns: Es war ja einst auch nicht eben das Schlechteste, von Greta Garbo geliebt zu werden, nicht wahr? Und Sie werden mir zustimmen, mein Herr Richter, wenn ich sage, daß die Dame, die mich liebt, größer ist als die Garbo. Sie ist, und sicherlich pflichten Sie mir auch hier sogleich bei, in dieser Industrie die Größte, die es jemals gab.
Die Größte: Sylvia Moran.
Natürlich, und noch bevor Sie es denken, sage ich es selber, natürlich leben wir in einer Zeit, in der man den Begriff des Ganz Großen Weiblichen Stars kaum noch kennt. Es gibt nur einige wenige dieser Ganz Großen – die Taylor, die Cardinale, die Loren, die Streisand, die Schneider, Liza Minelli, Tochter der Garland, und einige andere, nicht wahr, nun, da der internationale Film immer mehr männliche Stars benötigt, weil die Sujets immer maskuliner werden, nun, da Weltproduktionen mit einer großen Schauspielerin im Mittelpunkt so rar geworden sind.
Was ist hier eigentlich los? Erlischt das Interesse an Weiblichkeit? Haben die Männer, bewußt oder unbewußt, bereits beschlossen, generell keinen Gefallen mehr am anderen Geschlecht zu bezeigen, sind sie übereingekommen, auch diese Sache unter sich abzumachen? Woher das plötzliche (nur scheinbare?) Desinteresse an dem, was zu allen Zeiten immer noch am meisten interessierte? Wird unsere Erde kalt, impotent, homosexuell, lesbisch? Wenn ja, warum? Wird man in Zukunft mit schweren Strafen belegt werden dafür, daß man – ein Fossil! – normal ist?
Die Filmindustrie bildet nicht Zeitgefühle, sie läuft ihnen nach, paßt sich ihnen an. Die Filmindustrie handelt richtig, aber sie weiß nicht, warum. George Orwells ›1984‹ ist nahe herangerückt. Sagen Sie mir doch, mein Herr Richter, woher es kommt, dieses
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